Erfolg rechtfertigt gar nichts

hans-kungBrauchen wir ein globales Ethos? Ganz sicher, meint Hans Küng im Interview („Erfolg rechtfertigt gar nichts„, ZEIT Nr. 1 vom 30.12.2009). Küng fordert (nicht erst seit der Krise) ein „globales Wirtschaftsethos„, also weltumspannende, gemeinsame Grundregeln, an die sich die Wirtschaftsakteure (auch die Konsumenten) künftig halten sollen. Ich hoffe, diese Zitate machen Appetit, das ganze Interview zu lesen:

All jene, die heute vorgeben, dass niemand mit dieser Krise rechnen konnte, reden Unfug.

Jetzt ist vielerorts ein neuer Typ von Banker, Unternehmer oder Manager am Ruder… Rein erfolgsorientiert. Clever. Trickreich. Und von ethischen Prinzipien nicht sehr bestimmt.

Der Erfolg als solcher rechtfertigt gar nichts. Dann wäre auch der Aufseher eines Konzentrationslagers erfolgreich.

Auf lange Sicht wird unethisches Verhalten immer negative Folgen haben. Erstens kommt unmoralisches Wirtschaften unter Umständen in Konflikt mit den Gesetzen. Irgendwann wird man halt erwischt – die Korruption bei Siemens war dafür das beste Beispiel. Zweitens benötigt ein Geschäftsmann Vertrauen und Verlässlichkeit, um effizient wirtschaften zu können. Kurzfristig kann er versuchen, seinen Partner über den Tisch zu ziehen, auf Dauer wird ihm das schaden. Und drittens benötigt ein Unternehmen Glaubwürdigkeit.

Entscheidend ist, ob ethische Kriterien schon bei der Personalauswahl zur Geltung kommen.

… man muss anerkennen, dass es Prozesse gibt, die uns Menschen vorangebracht haben. Es ist gewaltig viel geschehen. Das gibt mir das Recht, zu sagen: Auch in Sachen Weltethos und Ethos für die Wirtschaft ist vieles möglich.

Das unter der Regie des Wirtschaftsethikers Josef Wieland erarbeitete Manifest „globales Wirtschaftsethos“ wurde im Oktober 2009 bei den Vereinten Nationen vorgestellt. Das Ziel ist es, ein verbindedes Wertegebäude für die globale Wirtschaft aufzustellen. Wirtschaftliches Handeln soll sich an Grundwerten orientieren:

  • Humanitätsprinzip
  • Goldene Regel
  • Gewaltlosigkeit und Achtung vor dem Leben
  • Gerechtigkeit und Solidarität
  • Wahrhaftigkeit und Toleranz
  • Gegenseitige Achtung und Partnerschaft

Das Manifest „Globales Wirtschaftsethos“ und weitere Informationen finden Sie auf dem eigens dafür eingerichteten Website www.globaleconomicethic.org

6 Antworten auf „Erfolg rechtfertigt gar nichts“

  1. Entgegnung zu

    Hans Küngs Forderung nach einem
    „globalen Wirtschaftsethos“

    Küngs Interview-Äußerungen sei zunächst Grundsätzliches zum Thema „Ethik“ vorangestellt, auch wenn dieses nur einen wünschenswerten Soll-Zustand, nicht aber den Ist-Zustand unserer Gesellschaft beschreibt. Letzterer wird ohnehin täglich beschrieben und beklagt. Die Darstellung des Soll-Zustandes offenbart aber die Fragwürdigkeit von Küngs Vorstellungen zu einem „globalen Wirtschaftsethos“.

    Der Begriff „Wirtschaft“ sagt über Verhaltensregeln oder gar „Ethik“ nichts. Wirtschaft erwirtschaftet Gewinne, in der Regel auf Kosten des wirtschaftlichen Erfolgs von Wettbewerbern. Damit jenes auf Gewinn abzielende Miteinander- oder Gegeneinanderhandeln der Menschen, das wir „Wirtschaft“ nennen, nicht auf Kosten der Elementar-Rechte des Menschen geht, braucht Wirtschaft Handlungsschranken in Form klarer Gesetze, denn:
    En Staat, der sich als „Rechtsstaat“ betrachtet, zeichnet sich u. a. dadurch aus, dass nur Gesetzesverletzungen sanktioniert oder beklagt werden können. Droht für bestimmte Handlungen oder Unterlassungen keinerlei Sanktion, sei es durch Organgewalt oder durch Klagen von Bürgern, dann werden sich diese Handlungen ausweiten, bis sie die Grundlagen ihrer Ausbeutung und damit auch sich selbst zerstört haben. Beispiele hierfür gibt es genug, auch ganz aktuelle. Hierbei ist es stets gleichgültig, ob es an Gesetzen gefehlt hat oder ob Gesetze nicht beachtet und durchgesetzt wurden, wie es auch gleichgültig ist, ob das Volk oder die Organgewalten die Gesetze nicht beachtet haben.
    Wenn auch die Darstellung des Soll-Zustandes verlassen wird, sei nur kurz und beispielhaft besonders verwerfliches Handeln von Organgewalt im Zusammenspiel mit Finanzwirtschaft und der sonstigen Wirtschaft erwähnt. Besonders verwerflich ist es, wenn jene, die durch ihre grenzenlose Gier nach wirtschaftlicher Macht, eine auf das ganze Land und darüber hinaus wirkende wirtschaftliche Katastrophe verursacht haben, anschließend auf Kosten der wirtschaftlichen Zukunft und unter Verletzung der Selbstbestimmtheit der meisten Bürger, ohne Sanktionen, wie auch ohne klare Regeln für ihr zukünftiges Handeln, mit Steuergeldern und Staatsbürgschaften „gerettet“ werden, damit die Verursacher der Katastrophe ihr unsägliches Handeln, rücksichtsloser als zuvor, erneut beginnen können.
    Nicht minder verwerflich ist es, wenn Unternehmer, die Ausbeutung als „Geschäftsmodell“ betreiben, indem sie Arbeit suchende Menschen mit „Billiglöhnen“ oder mit „Ein-Euro-Beschäftigung“ fast wie Sklaven behandeln und gleichzeitig, gefördert durch Organgewalt, den Steuerzahlern Schaden zufügen.
    Solches betrachtend, kann man ganz allgemein zum Gebrauch des Begriffs „Ethik“ sagen:

    Die Beachtung der Selbstbestimmtheit der Menschen
    und der darauf aufbauenden Gesetze,
    wie die Verachtung jener Gesetze,
    welche die Selbstbestimmtheit der Menschen verletzen,
    kann man als „ethisches Verhalten“ bezeichnen.

    Zu beachten ist noch: In einer organisierten Menschengemeinschaft, die wir „demokratischer Staat“ nennen, ist das Volk der alleinige Souverän. Dies sichert auch, dass die Gesetze nach demokratischen Regeln entstehen, denn nur so wird die jedem Menschen eigene Selbstbestimmtheit – die stets die Selbstverantwortung mit einschließt – nicht verletzt und den Gesetzen mittels der Herrschaft des Volkes die notwendige Legitimation verliehen.
    So ist also der einzige universelle Maßstab für Regeln, die in einer organisierten Menschengemeinschaft allgemein gelten sollen, die Selbstbestimmtheit des Menschen, welche dieser mittels seiner Erkenntnisfähigkeit, dem wesentlich kennzeichnende Merkmals seiner Spezies, erkannt hat und immer wieder erkennen kann.
    Also kann betreffend eines wünschenswerten, universellen Maßstabes, ein weiterer Merksatz formuliert werden:

    Nur die mittels der Erkenntnisfähigkeit,
    dem wesentlichen, kennzeichnenden Merkmal der Spezies Homo sapiens,
    erkannte Selbstbestimmtheit aller Menschen,
    kann jener universelle Maßstab sein,
    der für das Handeln der Menschen und
    damit auch für allgemein geltende Regeln anzulegen ist.

    Nur scheinbar können diesem Maßstab irreale Vorstellungen entgegenstehen, die von einer Bestimmung oder gar Vorausbestimmung des Menschen durch imaginäre Mächte, wie beispielsweise durch Götter oder einen Gott, ausgehen. Die meisten Menschen, die solches glauben, lehnen das Anerkennen der Selbstbestimmtheit des Menschen als universaler Maßstab ab. Oft handeln und reden sie so, als ob ihr bloßer Glaube auf Wissen beruhte, so dass sie sich eigentlich nicht „Gläubige“, sondern „Wissende“ nennen müssten. Aber: Das Festhalten an ihrem Glauben ist deren gutes Recht, denn jeder Mensch lebt nur in seiner Weltvorstellung, die ihm sein Erkennen mittels seines einmaligen Gehirns ermöglicht. Das ist in den Urwäldern Südamerikas, in New York, Berlin und in Peking nicht anders. Jede Weltvorstellung wird im Wesentlichen durch Erlerntes, Erfahrenes, aber auch durch pures Glauben bestimmt. Es kann aber auch eine eigene Erkenntnis Platz greifen, die über den ersten Anschein des Beobachteten und über eines bloßes Glauben hinausgeht. Das sind einige der Ursachen, dass Erkenntnisfähigkeit und Selbstbestimmtheit nicht automatisch zu qualitativ und quantitativ gleichen Ergebnissen führen und somit auch Ursache für jeder Art streitiger Auseinandersetzungen zwischen den Menschen.
    Der vorstehend genannte universelle Maßstab ist demnach keine Frage irgend einer „Kultur“, vielmehr ist er Maßstab aus dem kennzeichnenden Merkmal der Spezies Homo sapiens. Zudem: Jede „Kultur“ ist nichts anderes als die Summe sichtbar gewordener Äußerungsfähigkeit der Menschen. Wird der vorgenannte universelle Maßstab erkannt und anerkannt, dann kann dieser als Leitwert kulturbestimmend wirken.

    Nach alle dem wird klar: Eines gesonderten Wirtschaftsethos’ bedarf es nicht, denn „Wirtschaft“ ist nur Teil der sichtbar werdenden Äußerungsfähigkeit aller Menschen, die an „Wirtschaft“, gleich in welcher Position, beteiligt sind.
    Wenn also ein so großes Wort wie „Weltethos“ eine Berechtigung haben will, dann kann dieser nur lauten:

    Eine weltweit geltende ethische Verhaltenregel, ein „Weltethos“,
    kann nur das Beachten der nach demokratischen Regeln
    geschaffenen Gesetze zum Inhalt haben,
    deren Maßstab die Selbstbestimmtheit jedes Menschen ist.

    Solche eine Verhaltensregel ist demnach nicht „kulturübergreifende Norm“, sie ist vielmehr stets erste kulturbestimmende Norm. Sie ist somit auch höchster Wertmaßstab.
    Das heißt aber auch: Fehlt es an Demokratie, dann wird es auch an dieser Art von ethischem Verhalten mangeln.

    Die in vielerlei sprachlicher Ausformung bekannte „Goldene Regel“, der gemäß man nur so gegenüber dem Anderen handeln soll, wie man es auch selbst nur erfahren will, ist kein Ersatz für klare Normen, sprich Gesetze. Gleiches gilt für Kants „Kategorischen Imperativ“. Beides beschreibt nur mehr oder weniger unscharf eine mögliche Richtung eines Verhaltens. Dieser Art „Regeln“ sind unbestimmt – sie normieren nichts, weil sie keine eindeutig bestimmente Regeln benennen. Sie setzen lediglich einen „guten“ und damit „vernünftig“ handelnden Menschen voraus.
    Die leicht erkennbare Realität ist aber: Der Mensch ist nicht nur durch Erziehung, aus Abhängigkeiten verschiedener Art und Ursache, aus Ängsten, aus einem Erfolgsstreben und dem Wunsch nach Machtteilhabe beeinflussbar. Er neigt auch dazu, sein egoistisches Handeln als „vernünftig“ und daher als gerechtfertigt zu betrachten, weil es – oft nur scheinbar – seinem Vorteil dient. Zudem: Die Begriffe „Gut“ und „Böse“ entspringen nur einem speziellen Wunschdenken, beispielsweise aus den Blickwinkeln religiöser Weltvorstellungen, wobei Letztere oft zueinander auch noch feindlich gesinnt sind.
    Auf der irrigen Vorstellung, der Mensch sei grundsätzlich „gut“ und „vernünftig“, gründen auch Begriffe, wie „menschliches“, „humanes Handeln“. Realität ist auch hier: Alles was der Mensch zu tun vermag, ist “menschlich“, ist „human“, ob er nun liebt oder mordet. Könnte er so handeln, wie er es auf Grund der Grenzen seiner Art oder der Physik nicht zu tun vermag, dann erst handelte er „unmenschlich“. Darum kann das Handeln des Menschen – innerhalb der genannten Grenzen – schrankenlos sein.
    Zudem lassen die oben angeführten „Regeln“ in zu vielen Fällen die Einrede zu, dass man das eigene Handeln durchaus auch durch andere ertragen wolle oder auch als Gesetz hinnehmen könne.
    Die alte Metapher von der Frucht aus dem „Baums der Erkenntnis“ beschreibt nur eines: Die Erkenntnisfähigkeit des Menschen – und die Last, die ihm daraus erwächst: Die Selbstbestimmtheit und damit auch die Selbstverantwortung.
    Prinzipiell kann der Mensch mittels seiner Erkenntnisfähigkeit zwischen dem, was er für „böses“ oder „gutes“ Handeln hält, wählen. Nicht selten kann er aber das eine vom anderen nicht unterscheiden, jedoch: Die Unbestimmtheit der „Goldenen Regel“ und von Kants „Imperativ“ kann er durchaus erkennen.
    Der Mensch hat daher erkannt und kann es immer wieder erkennen: Wenn in einer Menschengemeinschaft Frieden herrschen soll, braucht der Mensch selbst gesetzte Schranken in Form klarer Gesetze. Wird dies missachtet oder bestritten, reichen auch schöne Absichterklärungen und schöne Begriffe nicht. Auch eine inhaltlich unbestimmte „Corporate Governance“ oder ein „Ethik-Management“ sind kein Ersatz für klare Gesetze, deren Beachtung und Durchsetzung.

    Und was ist den Äußerungen des Theologen Hans Küng zu den Begriffen „Wirtschaft“ und „Ethik“ im Wesentlichen zu entnehmen?
    Konkret nennt Küng nur die „Zehn Gebote“ und die UN-Menschenrechtserklärung als ethische Maßstäbe. Sein „Weltethos“ soll einmal hinzutreten. Soll dies alles Handlungsmaßstab auch für die Wirtschaft sein? Fest steht: Keines dieser „Regelwerke“ ist für irgend jemand gesetzesverbindlich. Auf deren Verletzung könnte keine Anklage, Privat- oder Verwaltungsklage aufbauen.
    Küng beklagt das Uminterpretieren von „Gesetzen ohne Ethos“ durch „intelligente Juristen“. Man fragt sich: Warum beklagt Küng nicht einfach die Missachtung von Gesetzen durch den Missstand der Auslegung von Gesetzen. Küng ist solch ein Beklagen völlig fremd, weil es seiner gefestigten Überzeugung widerspricht, denn: Die Führungsspitze seiner früheren Lehrauftraggeberin beansprucht seit rund zweitausend Jahren für sich das Recht der Auslegung der „Heiligen Schrift“. Diese ist so auch eine der „Mütter“ der Schriftauslegung für Juristen geworden.
    Auch Küngs „Weltethos“ wird von „intelligenten Juristen“ zwecks Uminterpretation „ausgelegt“ werden. Zudem: Was auch immer Küng mit „Gesetzen ohne Ethos“ meint – auch solche „mit Ethos“ werden „uminterpretiert“ werden.
    Küng redet von einem „ungeheuren Schatz der Tradition der gesamten Menschheit“, aus dem sein „Manifest“ nur zu „schöpfen“ brauchte. Was diesen „Schatz“ ausmacht, sagt er nicht und so können wir nicht seiner Empfehlung folgen, uns „erneut dieses Schatzes bewusst“ zu werden.
    Küngs Ausführungen zeigen: Er kann sich aus der Begriffswelt, die er als Theologe erlernt hat und so als real und zutreffend empfindet, nicht befreien. Es ist in der Tat auch schwer, sich von einer Weltvorstellungen des bloßen Glaubens zu lösen, die man von Kind an und später auch noch im Studium verinnerlicht hat. Wie unmöglich dies sein kann, hat Küng selbst in seiner streitigen Auseinandersetzung mit Rom erfahren.
    Das sind im Wesentlichen die Gründe, weshalb der Widerspruch zwischen seinem undifferenzierten Wunschdenken aus unbestimmten und unbestimmbaren Begriffen und der Realität schnell deutlich wird. Er versucht religiöse, und andere unbestimmte Begriffe – Anstand, Nächstenliebe, Wahrhaftigkeit, „ehrenwerter Kaufmann“, „Geist der Fairness“, Integrität, Moralität usw. – mit real notwendigem Handeln und real notwendigen Schranken zu verknüpfen.
    Das muss scheitern, denn: Nur die Beachtung und Durchsetzung von klaren, gesetzesbestimmten Schranken kann schrankenloses Handeln verhindern.
    Er lebt, entgegen seiner Auffassung, sehr wohl in einem „Wolkenkuckucksheim“ – im dem seiner unbestimmten Begriffe. Das wird beispielsweise deutlich, wenn er von einem Unternehmer ethisches Handeln auch dann erwartet, wenn es dessen wirtschaftlichen Untergang bedeuten würde. Er, der Unternehmer, solle eben „langfristig denken“, meint Küng. Aber genau dies tut ein Unternehmer aus seiner Sicht, auch wenn er gegenüber anderen – aus der Sicht Küngs – „unethisch“ handelt: In seinem Unternehmen, gleich welcher Größe, sind die Arbeitsplätze, also auch sein eigener, zu sichern. Das sieht ein Unternehmer als seine selbst gesetzte Pflicht. Das ist sein „Ethos“.
    Klar muss doch sein: Die Beachtung “ethischer Normen“ schützt unter den derzeitigen Rechtsordnungen nicht vor wirtschaftlichem Untergang. Dies schon gar nicht, wenn nur eine Minderheit diese beachten und eine Mehrheit, vielleicht auch noch wirtschaftlich Mächtiger, „ethische Normen“ als lästig und daher als unbeachtlich betrachten. Hinzu bedroht den „ehrlichen Kaufmann“ eine egoistisch handelnde Kreditwirtschaft und ein im Wesentlichen letztlich zerstörerisches Insolvenzrecht, einschließlich privater Haftung bis zur Verarmung. Gleiches droht seinen Mitarbeitern: „Hartz IV“ und Verschleiß fast aller Ersparnisse, einschließlich seines mühsam erwirtschafteten Eigenheims, samt Altersvorsorge. So kommt es, dass selbst Unternehmen, die respektable Produkte und Leistungen anbieten, bei drohendem Niedergang nur einen Ausweg sehen: Rette sich wer kann, ohne Rücksicht und ganz ohne „ethisches Handeln“! Genau dies entspricht der Realität, die sich der „ehrliche Kaufmann“ gegenübersieht – nicht nur in der deutschen Wirtschaft.
    Küng spart die konkrete Erörterung solcher Realitäten im Kernpunkt seines Redens aus. Auch das ist – wenn einem die Bühne der Öffentlichkeit zur Verfügung steht – in spezieller Weise unethisch, wenn auch damit keine Gesetze verletzt werden, wohl aber die einzigartige Fähigkeit des Homo sapiens, die daher auch dessen Pflicht ist: Verantwortung gegenüber den Mitgliedern seiner Spezies, Nächstenliebe und Mitgefühl. Dazu braucht es nicht zwingend einer Religion. Diese Pflichten können mittels der bereits erwähnten Erkenntnisfähigkeit als in einer Menschengemeinschaft unverzichtbar erkannt werden. Wenn die Erfüllung solcher Pflichten durch religiöse Überlegungen oder Überzeugungen unterstützt wird, wird es bestimmt nicht schaden. Letzteres ist ein Beispiel dafür, dass zwischen nichtreligiös und religiös orientierten Menschen Spannungen oder gar Feindschaft sinnlos, weil unnötig sind. Aber auch hier muss der zuvor genannte höchste Wertmaßstab gelten.

    Küngs Vorstellung zum Manifest aus seinem „Projekt Weltethos“ bleibt, wie oben schon angedeutet, merkwürdig unbestimmt und widersprüchlich, wenn er – beispielsweise mit Blick auf Kinderarbeit in Indien – ausführt, dass „jede Norm ohne Situation … leer“, bzw. „jede Situation ohne Norm blind“ sei und weiter: „Dieses Manifest ist nicht dazu da, Einzelfälle zu lösen. Die Normen sollen Richtlinien sein.“ Da Küng hier mit dem Begriff „Richtlinie“ offensichtlich nicht Gesetze meint, muss man fragen: Was meint er dann?
    Es steht zu befürchten, dass „intelligente Juristen“ – und nicht nur diese – mit Küngs „Wirtschaftsethos“ ein leichtes Spiel haben werden. Sie werden, wie Küng sagt, „… immer einen Weg drum herum finden.“

    Eine Feststellung Küngs ist wichtig und richtig:

    „Eine Erfolgsethik ist, mit Verlaub, keine Ethik. Der Erfolg als solcher rechtfertigt gar nichts.“

    Richtig: Der mögliche Erfolg heiligt nicht die Mittel. Aber auch diese andere „goldene Regel“ hat uns Menschen vor selbst verschuldeten Katastrophen jeder Art und schlimmsten Ausmaßes nicht bewahrt. Auch nicht im zwanzigsten und einundzwanzigsten Jahrhundert. Entweder fehlte es an Gesetzen oder an der Durchsetzung derselben oder die vorhandene Gesetze selbst oder die Organgewalten missachteten die Selbstbestimmtheit des Menschen. Hinzu kam immer der schwerwiegende Missstand, dass die Mehrheit der Mitglieder des Souveräns die Übel nicht erkannt haben oder nicht erkennen wollten. Und so ist es auch heute: Die Mehrheit will nicht wahrhaben, dass sie mit jeder politischen Wahl die Fortsetzung der Übel gestatten, befangen in der vagen und unterwürfigen Hoffnung, dass „die da oben“ es schon zum Besseren wenden mögen. Es fällt den meisten noch nicht einmal auf, dass die von ihnen ausgefüllten Stimmzettel ein NEIN gar nicht vorsehen. Auch so kann man sich als Bürger seiner elementaren Verantwortung im Staate entledigen. Und dies ist ganz und gar unethisch.
    Soweit wir durch Alter oder Krankheit nicht daran gehindert sind: Fangen wir mit der Beachtung der eigenen Selbstbestimmtheit und Selbstverantwortung an. Handeln wir danach und kämpfen wir darum. Beachten wir die demokratisch geschaffenen Gesetze und sorgen als Teil des Souveräns für solche, soweit es an diesen fehlt. Beginnen wir einfach – Schritt für Schritt. Gemeint sind alle Bürger, wie beispielsweise die in den Schulen und Universitäten, die in den Parlamenten, die an den Werkbänken und die an den Schreibtischen – jeder!
    Hier passt der Satz der mutigen Bürger der ehemaligen DDR: „Wir sind das Volk!“ Richtig! Und damit haben wir Bürger auch die letzte Verantwortung, weil wir das Letztbestimmungsrecht haben, das zwangsläufig Folge unserer Selbstbestimmtheit ist.
    Mir ist bewusst, dass im Hinblick auf die Ernsthaftigkeit des vorstehenden Themas, Erich Kästners Spruch bei dem einen oder anderen vielleicht platt klingen mag: „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“ Was „gut“ ist, habe ich zuvor versucht zu darzulegen.

    Bert Steffens
    Freier Philosoph und
    Unternehmer im (Un-)Ruhezustand

    Andernach, den 01.01.2010

  2. Hallo Herr Steffens, danke für Ihren Kommentar (wow)!
    In vielen Dingen stimme ich Ihnen zu. Dass das Thema sehr komplex ist, ist auch klar. Ich möchte an einigen Stellen widersprechen, vielleicht auch nur ergänzen oder klarstellen:
    1. Das Manifest „Globales Wirtschaftsethos“ wie auch die Forderungen, die Herr Küng im Interview nennt, brauchen keine Theologie und berufen sich nicht auf Religion. Das ist mein Verständnis. Und das finde ich gut, denn so ist jeder mit den gestellten ethischen Fragen konfrontiert, ohne es sich leicht machen zu können nach dem Motto „aus der Kirche bin ich doch längst ausgetreten“.
    2. Gesetze sind schön und gut und gewiss nötig, aber Gesetze werden zum allergrößten Teil auf nationaler Ebene gemacht, und es gibt noch kein einziges globales Gesetz. Auch haben wir nicht überall eine Demokratie. Das Manifest dagegen ist „global“ (bzw. hat einen „globalen“ Anspruch) und kann einen Anfang mitbegründen, sich auf weltweite ethische Standards zu einigen. Was brauchen wir zuerst, die Henne oder das Ei? Im evolutionären Maßstab ist diese Frage unbedeutend.
    3. Worauf beruhen Gesetze? Auf ethischen Überlegungen, meine ich. Daher sind Gesetze und Ethik kein Widerspruch und darüber hinaus aufeinander angewiesen. Und Gesetze werden niemals jeden kleinsten Lebensaspekt regeln können, auch wenn gerade in Deutschland (umfangreichste Steuergesetzgebung der Welt) ebendas versucht wird. Ethische Orientierung aber wirkt wie ein Kompass, der mir immer sagt, wo Norden ist, auch in nicht kartiertem Gebiet. Gerade hier, abseits der Gängelung, zeigt sich doch die Selbstbestimmung.
    4. Wir haben schon in vielen Bereichen einen Wertewandel erlebt. Das kann Hoffnung machen, dass es auch eine Entwicklung gibt hin zu jenen Werten, die für das Manifest grundlegend sind – damit bin ich wieder bei dem, was auch Herr Küng sagt.

  3. Selten, dass so tiefgreifende Diskussionen geführt werden. Zugegeben, ich musste mir Obiges zweimal durchlesen, um die Gedankengänge nachvollziehen zu können. Das einzige, was ich zu bedenken geben möchte ist, dass Gesetzt und Ethik in der Tat widersprüchlich sein können, wenn auch nicht sollten. Man denke an Berlusconis Gesetzgebung, die lediglich dem eigenen Vorteil dient. Ähnliches ist sicherlich auch in der Wirtschaft zu finden.

  4. Ich bin echt beeindruckt, wie tiefgründig hier diskutiert wird. Kommt echt selten vor. Find ich richtig klasse, auch wenn ich nicht alles verstehen konnte.

  5. Nach der Wende können die Einwohner der Deutschen Demokratische Republik am 18. März 1990 zum 1. Mal frei wählen. Es waren die einzigen freien Wahlen in der Geschichte der DDR, jedoch für die Bürger waren diese ein wesentlicher Schritt in Richtung Unabhängigkeit. Etliche Jugendliche wissen schon wirklich nicht mehr, was die DDR überhaupt war.

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