Strategische Personalentwicklung mit Dr. Haury

Dr. Kerstin Haury arbeitet in der strategischen Personalentwicklung bei der Deutschen Flugsicherung. Noch vor 10 Jahren haben wir gemeinsam für das Diplom im Fach Psychologie gelernt und überlegt, was wir wohl so in 10 Jahren machen. Gut, dass wir jetzt die Gelegenheit für Antworten haben.

Frage > Hallo Kerstin, hast Du die letzten 10 Jahre das Wissen, das wir an der Universität erworben haben, einbringen können?

Insgesamt gesehen schon. Natürlich muss man erst mal „verdauen“, dass das, was man an der Uni so schön klar gegliedert und wissenschaftlich fundiert beigebracht bekommen hat, in der Praxis viel komplizierter ist und aus irgendeinem Grund dann doch immer nicht so funktioniert, wie es im Buch steht. Aber in den beruflichen Stationen, in denen ich bisher gearbeitet habe (HR-Beratung, wissenschaftliche Beratung, PE im Unternehmen), ging es immer um Personaldiagnostik und Personalentwicklung und dazu ist psychologisches Fachwissen dann doch recht wichtig bzw. bringt mir häufiger mal einen Wissensvorsprung vor internen und externen Kollegen, die nicht Psychologie studiert haben.

Frage > Dann hast Du also bereits viele Sichtweisen erlebt, Unibetrieb, Beratermilieu, Personalarbeit in Großunternehmen. Hilft das bei Deiner täglichen Arbeit?

Ja, das würde ich schon sagen. Die Beschäftigung mit dem Thema Personal aus den unterschiedlichen Perspektiven hat dazu geführt, dass ich inzwischen ein ziemlich vollständiges Bild des Ganzen aufgebaut habe: Ich weiß zum einen, wie Personalentwicklung und -diagnostik idealerweise sein sollten, und zum anderen, was praktisch machbar ist und wie man konkret dorthin kommt.
Die Arbeit in der Beratung und während meiner Promotion an der Uni hat mich nämlich fit gemacht in den verschiedenen PE- und Diagnostik-Tools, weil man dort sehr stark inhaltlich arbeitet. Nachdem ich dann „die Seiten gewechselt“ habe und in einem Unternehmen arbeite, kenne ich aber auch die großen und kleinen Alltags-Hindernisse, mit denen man bei der konkreten Durchführung von Projekten vor Ort manchmal zu kämpfen hat und die man als Berater eigentlich gar nicht so richtig mitbekommt. Dadurch weiß ich, worauf es bei der Umsetzung neben den guten Ideen und der fachlichen Expertise eben auch noch ankommt, um Erfolg zu haben.

Frage > Wie muss man sich denn strategische Personalentwicklung vorstellen. Was ist denn der strategische Ansatzpunkt?

Die strategische Personalentwicklung hat sozusagen den Auftrag, das Unternehmen bei der Umsetzung seiner Gesamt-Strategie zu unterstützen. Wir entwickeln Maßnahmen und Konzepte (und setzen diese dann um), um die Mitarbeiter in ihrem Arbeitsverhalten für die Umsetzung dieser Strategie zu sensibilisieren. Das kann z.B. durch die Entwicklung eines aus der Unternehmensstrategie abgeleiteten Kompetenzmodells geschehen und durch die Ausrichtung aller PE-Instrumente daran. Das Feedback an die Mitarbeiter erfolgt dann auch an den Kriterien, die für die Erreichung der Unternehmensziele wichtig sind, und nicht nur an denen, die für die Erfüllung der individuellen Arbeitsaufgaben unmittelbar notwendig sind. In der strategischen PE geht außerdem auch immer um die Lösung von Fragestellungen, die für alle oder sehr viele Mitarbeiter relevant sind, nicht so sehr um die Unterstützung von Führungskräften und Mitarbeitern im Einzelfall. Beispielsweise  habe ich mich mit der Frage beschäftigt, ob die Einführung einer Fachkarriere in unserem Unternehmen sinnvoll ist oder nicht, und welche Unterstützung Nachwuchsführungskräfte bei der Übernahme ihrer neuen Position erhalten sollten. Bei der Entscheidung spielte dann auch eine Rolle, ob die Maßnahmen die Unternehmensstrategie unterstützen bzw. im Sinne der Unternehmensstrategie sind.

Frage > In der Psychologie sowie in der Personalentwicklung geht es doch häufig um Verhaltensänderung. Wie glaubst Du kann man das Verhalten am besten durch Personalentwicklung verändern?

Als erstes muss man sich natürlich überlegen, welche PE-Maßnahme überhaupt für die gewünschte Verhaltensänderung sinnvoll ist. Das kann ein Training sein, aber auch z.B. Feedback von verschiedenen Seiten oder Unterstützung durch Mentoren und Coaches o.ä. Es kommt dabei darauf an, sich den Anlass für die Veränderung und das beabsichtigte Zielverhalten klar zu machen. Was dann aber mindestens genauso wichtig ist, ist zu klären, wie die Rahmenbedingungen aussehen, in denen die PE-Maßnahme stattfinden wird. Denn von diesen hängt ab, ob eine PE-Maßnahme erfolgreich ist bzw. welche Wirkung sie erzielt. Wenn ich beispielsweise der Meinung bin, ein Coaching wäre die geeignete PE-Maßnahme, um das Verhalten einer Führungskraft zu verändern, und beachte dabei nicht, dass es im Unternehmen ein Zeichen von Schwäche ist, einen Coach in Anspruch zu nehmen, wird das die Wirkung der Maßnahme begrenzen. Oder wenn ein Unternehmen ein 360°-Feedback durchführt, während gleichzeitig ein großes Rationalisierungsprojekt läuft, sollte man damit rechnen, dass diese PE-Maßnahme unter Umständen zu Aufregung und Besorgnis anstatt zu positiver Verhaltensänderung führt.
Um mit PE-Maßnahmen Verhalten zu ändern, kommt es also darauf an, immer auch die Situation und das Umfeld zu betrachten, in der die Maßnahme stattfinden wird; sonst wird die Wirkung der Maßnahme schnell überschätzt. Das ist zwar eigentlich keine besonders neue Erkenntnis, wird in der Praxis aber doch relativ selten wirklich ernsthaft berücksichtigt.

Frage > Was machst Du wohl in den nächsten 10 Jahren?

Tja, das ist eine gute Frage, mit der beschäftige ich mich auch immer wieder. Ich glaube, dass ich in 10 Jahren nicht mehr ausschließlich für Unternehmen arbeiten werde, sondern mir noch eine zweite Aufgabe suche. Mich im sozialen Bereich oder im Umweltschutz zu engagieren, könnte ich mir gut vorstellen. Vielleicht lässt sich ja sogar beides miteinander verbinden.

Kerstin, vielen Dank für Deine Antworten!

Studie: Kommunikation und Kooperation am Arbeitsplatz

Kennen Sie das? Sie suchen händeringend nach einer Information, und später (zu spät) erfahren Sie, dass ihr Kollege Ihnen hätte helfen können. Sie wussten nur nicht, dass ein anderer es wusste.

Ein Forschungsprojekt der Universität Tübingen und dem Institut für Wissensmedien in Tübingen beschäftigt sich mit diesem Thema. Fragestellungen der Forscher sind: Welche Faktoren beeinflussen die Kommunikation und das kooperative Verhalten am Arbeitsplatz? Gibt es beispielsweise Personeneigenschaften, die einen Einfluss darauf haben, ob der Informationsfluss in einem Unternehmen gut oder schlecht funktioniert?

Welche Erfahrungen haben Sie gemacht? Sie können sich an der Studie beteiligen: uc.iwm-kmrc.de/uc/kommunikation. Zeitbedarf ca. 10 Minuten. Als kleiner Anreiz werden unter allen Teilnehmern 4 Amazon-Gutscheine im Wert von je 50 € verlost. Außerdem informieren die Autoren Sie bei Interesse über die Ergebnisse der Studie.

Update: Die Umfrage ist beendet und den Hyperlink habe ich entfernt.

Boni bringen nix

uscurrency_federal_reserve-pd.jpgUnsere Finanzsysteme erleben die schlimmste Krise seit der Weltwirtschaftskrise, die 1929 begann. Zur Zeit fragen wir uns kollektiv, ob die Kernschmelze dieses mal durch das Eingreifen der Staaten abgewendet wurde.

Ein Aspekt, der mir nun in einem anderen Licht erscheint, sind die exorbitanten Gehälter und Boni für viele Banker und Vorstände, denen wir (nicht nur, aber doch zum großen Teil) das Desaster zu verdanken haben. Und wussten Sie, dass z.B. die Deutsche Bank Mitarbeiter (Hedgefond-Manager, London) beschäftigt, die viel mehr Geld mit nach Hause nehmen als Herr Ackermann?

Der Widerspruch ist offensichtlich: Boni sollten für erfolgreiches Wirtschaften gezahlt werden, und nicht für Geldvernichtung, Versagen und Gefährdung der Gesamtwirtschaft.

Boni als Mittel einer (vorgeblich) leistungsorientierten Entlohnung sind sehr beliebt, bei den Vorständen gab es in den vergangenen Jahren einen regelrechten Boom beim Bonus. Pay for Performance gilt als effektive und fortschrittliche Managementmethode. Aber: Sind Boni überhaupt wirksam?

Nun zieht eine Studie zur Wirksamkeit von Pay for Performance den Boni-Befürworten den Boden unter den Füßen weg. Prof. Margit Osterloh und Katja Rost von der Universität Zürich haben mit einer Meta-Analyse untersucht, inwieweit leistungsabhängige Entlohnung des Top-Managements in Form von Aktien, Optionen oder Bonuszahlungen die Unternehmensperformance beeinflusst.

Die Forscher kombinierten die Resultate von 76 wissenschaftlichen Studien aus 123767 untersuchten Unternehmen und stellten fest: „Die Höhe des variablen CEO-Einkommens erklärt die Unternehmensperformance nur zu 1,2 Prozent“ (Katja Rost, Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Organisation und Technologie- und Innovationsmanagement). Das ist deutlich: Boni und ähnliche Anreize haben praktisch keinen Einfluss auf den wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens.

Die Studie belegt, dass Boni nicht nur nichts bringen, sondern sich sogar negativ auf die Performance auswirken können („Profitbasierte Entlohnung für Manager ist kontraproduktiv“). Die Eigenmotivation (intrinsische Motivation) wird verdrängt, und Dysfunktionalitäten wie kurzfristiges Denken und Eigennutz-Maximierung auf Kosten des Gesamtsystems werden verstärkt.

Medienmitteilung als PDF hier.

Beschwerdemanagement

reklamation2.jpgHier einmal ein richtig praktisches Buch: „Beschwerden und Reklamationen managen“. Direkt aus der Anwendung! Das Thema ist Beschwerdemanagement und der Autor selbst – Udo Haeske – arbeitet seit vielen Jahren als Trainer und Berater und das merkt man dem 180 Seiten an.

Es treten zwar die üblichen Verdächtigen der Reihe nach auf (das Johari-Fenster, die 4-Ohren, richtige Zielsetzungen) und stellen sich brav vor, aber die Inhalte der Konzepte werden sehr gut in den Zusammenhang des Beschwerdemanagement gesetzt. Diese Übersetzungsaufgabe klappt hervorragend.

Der Praxisteil ist mit vielen Tipps und Checkliste umfassend. Umfassend ist auch das Ausleuchten des Themas Beschwerdemanagement: sowohl aus Sicht des Service-Mitarbeiters als auch aus Sicht des Unternehmens, das Beschwerde-Management einführen will.

Besonders gefreut habe ich mich über den Überblick an Kompetenzen (Skills), die ein Service-Mitarbeiter haben bzw. ausbilden sollte. Haeske unterscheidet da zwischen fachlichen Kompetenzen (z. B. Produkt- und Anwendungskenntnis), sozialen Kompetenzen und persönliche Kompetenzen (positives Menschenbild, Offenheit, Eigeninitiative). Interessant für unseren Blog sind sicherlich die sozialen Kompetenzen. In Haeskes Wortwahl sind das Kommunikationsfreude (z. B. kompetentes Zuhören, Fragetechniken), Selbstbewusstsein, Konfliktkompetenz, Belastungskompetenz und Hilfsbereitschaft.

Das Buch ist in der Reihe „Weiterbildung“ im Verlag Beltz erschienen. Bei Beltz erscheint auch die Zeitschrift Psychologie Heute. Sicherlich nicht das letzte Buch aus dem Verlag, das ich gelesen habe, und falls das nächste nichts kann, werde ich mich beschweren!

Mensch ärgere dich!

focusaerger.jpgMal wieder Ärger im Büro?” fragt der aktuelle Focus in der Titelstory. Ärger bewegt uns, häufig mehr als uns lieb ist. Da ist sie wieder, diese unangenehme Emotion, die zu nichts gut ist! Es wird Zeit, darüber aufzuklären, auf dass wir uns und das Phänomen Ärger besser verstehen.

Leider trägt der Focus-Artikel (auf dreizehn Seiten!) keineswegs zu einem besseren Verständnis von Ärger bei. Vielmehr werden Fälle und Fakten zusammenhanglos dargestellt. Allgemeine Unzufriedenheit, Schlammschlachten, Mobbing, innere Kündigung, schlechtes Betriebsklima, cholerischer Chef, Karrierefrust, Zukunftsangst, mangelnde emotionale Bindung an das Unternehmen, Einsamkeit an der Spitze, Burnout, Dauerstress, oder im Gegenteil, große Langeweile: Alles wird ohne weitere Differenzierung unter den Titel „Ärger“ gezwängt.

Der Artikel wirkt wie ein dilettantisches Zusammengeschreibsel von Fundstücken. Ohne eine Klärung, was als Ärger verstanden wird, ohne Zusammenhang, ohne psychologische Mechanismen zu klären, ohne die Unterscheidung von Ursache und Wirkung, ohne Abgrenzung von anderen Emotionen wie zum Beispiel Wut oder Angst, ohne nach der Funktion von Ärger zu fragen. Mein Eindruck: Hier haben Journalisten einen Beitrag vorbereitet, der Ursachen für die schlechte Stimmung in deutschen Unternehmen beleuchten sollte. Da „schlechte Stimmung“ keiner mehr hören kann, und das auch wenig verkaufsfördernd klingt, hat jemand (Markwort?) entschieden: Nehmen wir doch „Ärger“ als Titel, jeder ärgert sich doch mehr oder weniger, vor allem im Job, und kauft dann das neue Heft! Leider ist es bei mir umgekehrt: Ich halte den neuen Focus in Händen und ärgere mich über diesen Artikel!

Ein ganz anderes Bild vom Ärger vermittelt der aktuelle Titelbeitrag des Weiterbildungsmagazins managerSeminare, „Antriebskraft Ärger: Vom Wert der Wut“ von Christoph Burger.

Nanu? Ärger = „größter Motivationskiller“ (Focus) oder Ärger = „Antriebskraft“ (managerSeminare)?

derzornkonig.jpgAutor Christoph Burger („Der Zornkönig: Wie Sie Ihren Ärger positiv nutzen“) nennt Beispiele für die positiven Seiten des Ärgers: „Ärger ist ein Zeichen für Motivation. Wenn sich Mitarbeiter aufregen, zeigt das: Ihre Arbeit ist Ihnen wichtig, sie sind engagiert bei der Sache“. Und das, nebenbei, ist etwas völlig anderes, als wenn Mitarbeiter völlig gleichgültig sind und sich im Zustand der inneren Kündigung befinden. „Ärger ist ein Hinweisgeber, wo und wie Leistung im Unternehmen gesteigert werden kann“. „Ärger steigert die analytische Kompetenz“. „Ärger zeigt an, wo persönliches Entwicklungspotenzial liegt“.

Was ist Ärger überhaupt? „Ärger ist ein emotionaler Hinweis darauf, dass sich der Mensch in einer Situation befindet, die es erfordert, diese Situation zu überwinden“ (Wikipedia).

Damit gibt es also einen konstruktiven und durchaus rationalen Kern in dieser Emotion. Es kommt jedoch darauf an, sich nicht vom Ärger beherrschen zu lassen, sondern die darin steckende Botschaft und Energie positiv zu nutzen, bei sich selbst und bei anderen.

Mensch, ärgere dich!

Entscheide oder leide?

entscheide.jpgDie Zeitschrift GEO ist für mich generationenschaffend. Ich kenne eine handvoll Menschen, die vor 1970 geboren sind und eine komplette GEO-Sammlung, fein und ordentlich aufbewahrt, besitzen. Die nach 1970 Geborenen haben vielleicht mal ein GEO Spezial „Japan“ oder „Amerika“ gekauft, aber die normale GEO selbst nie. Die August 2008 Ausgabe hat nun den Aufmacher „Die Psychologie der Entscheidung“. Der Untertitel klingt noch etwas nach Focus oder Stern Psychologie-Copy-Paste-Thema: „Das Geheimnis der guten Wahl“. Doch was uns der Autor Harald Willenbrock in den 15 gut recherchierten und toll geschriebenen Seiten liefert, ist mehr als unterhaltsame Information.

Hier wird beschrieben, wie gute Entscheidungen zu treffen sind und welche Tücken  dem Entscheidungsprozess innewohnen.  Der Autor trumpft auf mit einer Reihe von Zahlen:
–    bis zu 100.000 Entscheidungen treffen wir täglich
–    davon sind 99,9 % unbewusst
–    der durchschnittliche deutsche Supermarkt hält 10.000 Produkte für uns bereit
–    der amerikanische 40.000
–    dösen wir im Sessel prasseln auf uns 11 Millionen Sinneseindrücke ein
–    unser Gehirn kann aber nur 40 bis 60 davon verarbeiten

Unser Gehirn bewertet und sortiert die gewaltige Anzahl an Sinneseindrücke und lässt nur die  wichtigen durch. Gleichzeitig bewertet es aber auch die  Impulse emotional in „positiv“ und „negativ“. Diese emotionalen Bewertungen tauchen wieder auf in Entscheidungssituationen. Der Autor nennt das Beispiel eines Autokaufs. Positive Gefühle der Geborgenheit werden evoziert bei  der Marke eines Autos, mit dem in der Kindheit Familienausflüge unternommen wurden. Negative Emotionen treten bei der Marke auf, mit der man stressbeladen die Fahrprüfung machte. Das Wissen ist hier in Emotionen gespeichert, was zu schnellen einfachen Entscheidungsempfehlungen führt: die Intuition.

Willenbrock nennt viele weitere Beispiele und Experimente, so dass der gesamte Artikel zu mehr A-ha Erlebnissen führt als manche 500 Seiten Bücher, die in ihrem Titel A-ha Effekte suggerieren. Deshalb eine klare Empfehlung (auch an die nach 1970 geborenen): Wer interessiert ist an Entscheidungsprozessen, der möge diesen Artikel lesen.

Interview (10): Forschung erleben

rainer-greifeneder.jpgEin lieber Trainerkollege gab mir den Artikel „Der Preis des Plunders“ zu lesen, der im vergangenen Monat in der Süddeutschen Wochenendausgabe erschien. Relevant hierin für uns – wir machten gerade gemeinsam ein Verhandlungstraining – war der sogenannte Endowment – oder Besitztums-Effekt: Der Wert eines Produktes wird höher wahrgenommen, wenn man es besitzt:

„Der Effekt könne in Verhandlungssituationen vorteilhaft sein […]. Denn Menschen, die hohe Endowment-Werte aufweisen, verhandeln oft hart und erfolgreich.“

Wieder einmal, so dachte ich mir, kommen die wirklich praxisrelevanten Erkenntnisse der Psychologie weniger aus den arbeits- und organisationspsychologischen Fragebogenabfragen oder deren wenig generalisierbaren Onecase-Studies, sondern vielmehr ist es die Sozialpsychologie, die uns Erkenntnisse über das menschliche Denken und Handeln im alltagsrelevanten Kontext bringt.

Schön, dass es da die charmante Website forschung-erleben gibt, die uns die Erkenntnisse der Sozialpsychologie lebendig und praxisnah aufbereitet. Die Seite wird von Dr. Rainer Greifeneder und Dipl.-Psych. Ulrike Rangel und ihrem Team betrieben. Dr. Greifeneder arbeitet am sozialpsychologischen Lehrstuhl der Universität Mannheim und ich hatte Möglichkeit, ihm ein paar Fragen hierzu zu stellen.

Frage > Wie entstand die Idee, die Seite „Forschung erleben“ zu betreiben?

Die Sozialpsychologie fördert jedes Jahr einen reichhaltigen Schatz an neuem Wissen über menschliches Denken und Verhalten an den Tag, der nicht nur spannend, sondern häufig höchst relevant ist — für den Alltag sowie das Privat- und Berufsleben. Viele Fragestellungen, denen sich die Sozialpsychologie widmet (wie Entscheidungsverhalten, Führung, Kommunikation, aber auch Vorteile, Hilfeverhalten, Attraktion) fanden ihren Ursprung in Alltagsbeobachtungen und wurden dann wissenschaftlich mit Experimenten untersucht. Trotz dieser hohen Relevanz finden die Ergebnisse sozialpsychologischer Forschung nur selten den Weg aus dem Elfenbeinturm hinaus in die Öffentlichkeit. Mit „Forschung erleben“ möchten wir dies ändern und veröffentlichen daher momentan einmal pro Woche einen Artikel über spannende und alltagsrelevante Forschungsergebnisse. In dieser Woche wird zum Beispiel eine Forschungsstudie vorgestellt, die sich mit der Frage auseinandersetzt, wie häufig Menschen lügen – und ob man Freunde anders anlügt als Fremde.

Frage > Gab es Vorbilder?

Nein. Am Anfang stand nur unser Ziel, auch Menschen außerhalb des universitären Geschehens für die sozialpsychologische Forschung zu faszinieren.

Frage > Was sind Eure Ziele für die Seite? Wen wollt Ihr erreichen?

Unser Ziel ist es, sozialpsychologische Wissenschaft allgemeinverständlich aufzuarbeiten, so dass sich jeder, der an den Fragestellungen unseres Fachs interessiert ist, über spannende Forschungsbefunde informieren kann. Wer möchte, kann so jede Woche Neues erfahren und wissenschaftliche Antworten auf ‚menschliche’ Fragestellungen finden. Demnächst geht dafür auch unser Newsletter an den Start, der einmal pro Woche über den jeweils aktuellen Forschungsbeitrag informiert. Damit Forschung nicht ein abstraktes Etwas bleibt, bieten wir darüber hinaus die Möglichkeit zur Teilnahme an aktuellen Forschungsstudien, online, direkt über das Internet. Alle, die uns bei unserer Forschung unterstützen möchten, sind herzlich eingeladen, sich an den angebotenen Studien zu beteiligen.

Frage > Wo siehst Du persönlich den größten Beitrag der Sozialpsychologie in unserem Alltag?

Eine schwierige Frage. DEN größten Beitrag zu nennen fällt mir schwer, da so viele Sachen wichtig sind, für Menschen individuell, aber auch für Politik und Wirtschaft als Gesamtes. Einen besonders großen Beitrag stellen aber aus meiner Sicht eine Vielzahl von Erkenntnissen zum Entscheidungsverhalten dar. Diese geben Aufschluss darüber, wie Menschen tatsächlich Entscheidungen treffen. Der von dir angesprochene Besitztumseffekt ist dafür ein sehr gutes Beispiel: Dass man ein Produkt plötzlich für subjektiv wertvoller hält, nur weil man es besitzt, zeigt sehr deutlich, dass für das Verstehen und Vorhersagen von Entscheidungen psychologisches Wissen notwendig und hilfreich ist.

Frage > Was ist für Dich ein typischer sozialpsychologischer Effekt, den Du häufig im Alltag/ in der Praxis beobachtest?

Der sogenannte Sunk cost effect. Dieser besagt, dass wir Zeit, Geld oder Energie für ein Ziel aufwenden, weil wir in der Vergangenheit schon in dieses Ziel investiert haben – obwohl es objektiv gesehen nicht rational ist, weitere Ressourcen für dieses Ziel auszugeben. In diesem Fall sind die in der Vergangenheit ‚versunkenen Kosten’ der Grund für weiteres Investment, obwohl zum Zeitpunkt der Entscheidung ein anderes Handeln besser wäre. Alltagsbeispiele dazu gibt es zuhauf: Aus rationaler Sicht sollte ein Flop-Produkt nur dann am Markt bleiben, wenn es zukünftig Gewinne verspricht – nicht jedoch, weil seine Entwicklung oder bisherige Vermarktung so viel gekostet hat. Ebenso sollte man Verlustaktien im eigenen Depot nicht nach dem Preis beurteilen, zu dem man die Aktie eingekauft hat – sondern danach, ob die Aktie zukünftig Gewinn verspricht. Diese Beispiele zeigen, dass sozialpsychologisches Wissen eine hohe Praxisrelevanz hat, gerade auch im Bereich der Wirtschaft. Für dieses und zahllose andere Phänomene sucht und findet die sozialpsychologische Forschung Antworten – mit forschung-erleben wollen wir diese Antworten mit allen Interessierten außerhalb der Wissenschaft teilen.

Dr. Greifeneder, vielen Dank für die Antworten.

Reziprozität im Praxiseinsatz

Wenn uns jemand einen Gefallen tut, sind wir geneigt, diesen Gefallen zu erwidern. Diese Reziprozitätsregel ist ein Merkmal menschlichen Zusammenlebens.

Reiner Altruismus hat sich in unserer Evolution nicht bewährt. Bewährt hat sich dagegen das Prinzip „Wie du mir, so ich dir“. (Prof. Dr. Franz M. Wuketits, in Psychologie Heute 2/2008, S. 78)

Die psychologische Wirkung der Reziprozität kann erheblich sein. Und kann bewusst eingesetzt werden. Ein Beispiel aus der Wirtschaft (Der schlaue Chef beschenkt seine Mitarbeiter – Studie: Bonuszahlung führte zu deutlicher Produktivitätssteigerung):

Wer seine Mitarbeiter zu größerer Leistung anspornen möchte, sollte ihnen hin und wieder etwas schenken. Diesen Schluss legt eine Studie nahe, die jetzt beim Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) in Bonn erschienen ist. Für das Experiment zahlte eine kanadische Firma ihren Arbeitern einen einmaligen Bonus – und zwar unabhängig von der zuvor erbrachten Leistung. Am Tag des Geldgeschenks erhöhte sich die Produktivität der Mitarbeiter um mehr als zehn Prozent. Je länger ein Mitarbeiter schon bei der Firma beschäftigt war, desto länger entfaltete die Gratifikation eine positive Wirkung.

Die Reziprozitätsregel ist sehr wirksam. In den Experimenten von Regan (siehe voriger Beitrag) zeigte sich, dass die Reziprozitätsregel stärker ist als Effekte der Sympathie. Die Versuchspersonen wurden nämlich gefragt, wie sympathisch sie den Assistenten fanden. Diese Einschätzung der Sympathie hatte keinen Einfluss auf die Anzahl der gekauften Lose! Entscheidend für das Gefühl, dem anderen etwas schuldig zu sein, war ausschließlich der vorher erbrachte Gefallen (die Cola).

Also Vorsicht! Das Reziprozitätsprinzip kann ausgenutzt werden von Leuten, die wir normalerweise nicht mögen. Leute, die „unser Bestes“ wollen, sprich unser Geld, können ihre Chancen stark erhöhen, wenn sie uns einen kleinen Gefallen tun, bevor sie ihr eigentliches Anliegen vorbringen. Allein diese Tendenz zu erkennen, kann uns unabhängiger machen von solchen Manipulationsversuchen. Fragen Sie sich daher, was dahinter steht und was das Ergebnis sein wird (ich gehe hier von „fremden Personen“ aus; selbstverständlich ist in der Familie und unter engen Freunden ein solches Hinterfragen normalerweise nicht angebracht). Geht es nur um Profitmaximierung? Oder geht es um eine Verbesserung der Beziehung? Wir sollten uns fragen, ob wir eine angebotene Leistung auch wirklich haben wollen, wenn es vorher eine kleine Gefälligkeit (z.B. Gratisproben) gab. Vor allem dann, wenn die angefragte Leistung in keinem Verhältnis mehr steht zu dem kleinen Gefallen. Und wir sollten weiterhin kritisch bleiben, wenn Politiker sich von Top-Managern zur Bespaßung einladen lassen.

Sie können die Reziprozitätsregel in positiver Weise für sich nutzen. Die psychologische und soziologische Bedeutung der Regel besteht nicht im Ausnutzen von anderen, sondern darin, einen effizienten und gerechten Austausch von Leistungen zu ermöglichen, die Flexibilität im Austausch von Ressourcen zu erhöhen und Beziehungen aufzubauen.

Wie ich schon häufig beobachten konnte, eignet sich die Reziprozitätsregel zum Beispiel hervorragend, um Bewegung in Verhandlungen zu bringen. Kommen Sie Ihrem Verhandlungspartner entgegen! Oder bringen Sie eine Leistung für den anderen ins Spiel, mit der der Verhandlungspartner nicht gerechnet hat. Das wird höchstwahrscheinlich dazu führen, dass auch der andere Ihnen entgegen kommt.

Reziprozität – wenn jemand Ihnen eine Cola schenkt

Coca-Cola by James Temple (cc)Der Psychologe Dennis Regan führte 1971 ein Experiment durch. Eine Versuchsperson sollte an einer Studie zum „Kunstverständnis“ mitwirken. Das wahre Experiment hatte jedoch ein anderes Thema. Eine zweite Person im Warteraum war nur scheinbar ein Versuchsteilnehmer, in Wirklichkeit war sie Regans Assistent. Zwei Untersuchungsbedingungen zeigten besonders interessante Ergebnisse. In einigen Fällen tat der Assistent unserer Versuchsperson einen kleinen Gefallen, indem er kurz den Raum verließ, mit zwei Colas zurückkam, und eine Cola der Versuchsperson schenkte. In den anderen Fällen war alles ganz genau so, nur ohne Cola. Später bat der Assistent die Versuchsperson, ihm Lose abzukaufen.

Wenn ich im Seminar die Frage stelle, ob die Anzahl der gekauften Lose sich unterscheidet, dann liegen alle Teilnehmer richtig: Die Versuchspersonen, die vorher eine Cola erhalten hatten, kaufen viel mehr Lose als die anderen, und zwar im Durchschnitt doppelt so viele. Dieses Experiment ist eine Demonstration der Reziprozität.

Was ist Reziprozität?

Die meisten Menschen haben das Bedürfnis, sich für einen Gefallen erkenntlich zu zeigen. Menschen sind motiviert, für eine Leistung eine Gegenleistung zu erbringen. Wie du mir, so ich dir. Einer hilft dem anderen und umgekehrt. „Du gießt meine Blumen, ich gehe mit deinem Hund gassi“. Das ist das Reziprozitätsprinzip bzw. die Reziprozitätsregel (Prinzip der Gegenseitigkeit).

Warum gibt es Reziprozität?

Auf den ersten Blick erscheint reziprokes Handeln vielleicht als ökonomisch unvernünftig, ja riskant. Ich habe schließlich keine Garantie, dass ich jemals etwas zurückbekomme. Dennoch ist dieses Verhalten rational und zudem etwas zutiefst Menschliches. Warum gibt es also Reziprozität?

Auf diese Frage gibt es zwei Antworten, die zusammen hängen. Die erste Antwort ist eine aus evolutionstheoretischer Sicht. Menschen haben im Laufe der Sozialevolution gelernt, anderen etwas zu schenken und konnten damit rechnen, dass das Geschenk etwas beim anderen bewirkt, dass es also nicht völlig umsonst war. Das hat den Austausch von Ressourcen und Ideen gefördert. Es konnten sich Systeme gegenseitiger Unterstützung und des Handels entwickeln.

Menschliche Gesellschaften haben einen deutlichen Wettbewerbsvorteil von der Reziprozitätsregel. (Robert B. Cialdini)

Die zweite Antwort ist eine auf der Beziehungsebene. Jemand, der sich immer nur geizig, undankbar und egoistisch verhält, wird bald keine Freunde mehr haben. Es geht darum, nicht als Abzocker geächtet zu werden, sondern Vertrauen und Beziehungen aufzubauen.

Fortsetzung: Reziprozität im Praxiseinsatz

Humanomics

humanomics.jpgDie Wissenschaften wachsen zusammen. Eindrucksvoll führt dies das Buch „Humanomics“ von dem „Die Zeit“ Wirtschaftsredakteur Uwe Jean Heuser vor. Der Paradekritik des wissenschaftlichen Silo-Denkens, wenn Forscher unterschiedlicher Disziplinen einen Elefanten untersuchen, weiß man zwar wie ein Bauch oder ein Rüssel oder die Ohren aussehen, man versteht aber nie den ganzen Elefanten, wird hier entgegnet.

Heuser führt Psychologie, Ökonomie, Politik, Soziologie und Neurowissenschaften elegant zusammen und beschreibt anschaulich, wie der moderne Mensch bei Kaufentscheidungen denkt, was ihn dabei wie glücklich macht und was ihn antreibt. Dabei werden State-of-the-Art Forschungsergebnisse zur Belegung von Thesen herangezogen, die nicht immer dem Alltagsglauben entsprechen.

Ziel des Buches, so der Klappentext, sei es, „den Menschen als Kunden und Mitarbeiter besser kennen zu lernen (…) und nicht zuletzt hilft das neue Wissen der Ökonomie uns allen dabei, Wirtschaft, Gesellschaft und den Staat so zu gestalten, dass sie dem Wohle der Menschen wirklich dienen.“ Ein Anfang ist gemacht.

Mythos: Wir nutzen nur 10% unseres Gehirns

travemnde_sandworld_057_einstein_240.jpgIst das nun eine gute Nachricht oder eine schlechte Nachricht? Es heißt: Wir nutzen nur 10% unseres Gehirns. Ich kann mich an Werbung von Scientology erinnern, die das behauptete und die neugierig machen soll, denn – wer lässt schon gerne auf sich sitzen, nur 10% seines Hirns zu nutzen? Und wenn wir tatsächlich nur 10% nutzen, und den Nutzungsgrad erhöhen könnten, dann hätten wir ja ein riesiges Potenzial, klingt das nicht gut?

Es gibt allerdings einige Fakten und gute Argumente, die gegen den Mythos sprechen, dass wir nur 10% unseres Gehirns nutzen:

1. Wenn das wahr wäre, könnten wir Schädigungen des Gehirn (durch Unfälle, Schlaganfälle etc.) leicht „wegstecken“ und kompensieren. Hören Sie sich um, besuchen Sie ein Krankenhaus, fragen Sie Ärzte/Neurologen: Das ist nicht oder nur in geringem Maße der Fall, leider.

2. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass die Evolution ein Organ ausbildet, das zu 90% nicht genutzt wird.

3. Die Kernspintomographie und andere Wundergeräte der modernen Medizin zeigen, dass das ganze Gehirn aktiv ist (mehr oder weniger), sogar im Schlaf.

4. Körpergewebe, das nicht gebraucht wird, wird abgebaut. Auch im Gehirn gibt es natürliche Abbauprozesse: Neuronen, die nicht verwendet werden, sterben ab.

Mythos: Wir nutzen nur 10% unseres Gehirns.
Status: Zerstört.

via PsyBlog

Die psychologischen Tricks der Werbung

Wie bringt uns die Werbung dazu, „Ja“ zu sagen? Welche psychologischen Mechanismen sind da im Spiel? Robert Cialdini von der Arizona State University hat über diese Fragen geforscht und eine Reihe von Mechanismen gefunden, die uns in unserer Entscheidung beeinflussen. In der Regel greifen hier eingeschliffene Automatismen, die unbewusst ablaufen. Cialdini schildert diese Mechanismen kurz in einem Video-Beitrag (Dauer 3:49):

1. Reziprozität (im Video „reciprocation“ = Erwiderung, sich erkenntlich zeigen): Wir sind geneigt, jemandem, der uns einen Gefallen getan hat, diesen Gefallen zu erwidern. Dieses Prinzip wird zum Beispiel genutzt bei der Methode „Kaffeefahrt und Rheumadecken“ [Link entfernt]. Mehr zu diesem Thema in dem Beitrag: Reziprozität – wenn jemand Ihnen eine Cola schenkt.

2. Knappheit (Im Video „scarcity“): Ein Produkt wird in limitierter Auflage herausgebracht, oder ist nur begrenzte Zeit erhältlich. Erst gestern sah ich eine Anzeige vom Media Markt: „Ohne Mehrwertsteuer, -19%, nur heute, 3.1.2008“.

3. Autorität („authority“): Promis machen Werbung. Das kann, in Kombination mit „heavy rotation“ (ständige Wiederholung), ein Nervfaktor erster Güte sein. Noch Jahre nach der Kampagne können wir uns erinnern, wie Verona Feldbusch den „Blobb“ verkaufte oder Boris Becker verblüfft verkündete „Ich bin drin“. Aber es funktioniert, sonst würden wir auch Thomas Gottschalk, Harald Schmidt oder Günter Jauch weniger oft sehen.

4. Commitment und Konsistenz („commitment“): Dieses Prinzip geht in die Richtung „Wer A sagt, muss auch B sagen“. Wir haben ein starkes Bestreben, uns als konsistent wahrzunehmen. Wenn wir uns nicht als konsistent wahrnehmen in unserem Handeln, dann erzeugt das kognitive Dissonanz und das ist unangenehm. Wenn wir also bereits zu einem kleinen Aspekt einer Sache „Ja“ gesagt haben, dann sind wir eher bereit, auch einem Aspekt mit weiter reichender Bedeutung zuzustimmen, z.B. etwas Konkretes dafür zu tun. Verkäufer nennen das die „Fuß-in-der-Tür-Taktik“. Erst geht es um kleine Dinge, zu denen wir leicht „Ja“ sagen können. Dann geht es aber um größere Dinge und es wird schwieriger, sich da heraus zu winden (wir haben schließlich schon einmal zugestimmt…).

5. Sympathie („liking“): Dieses Prinzip entfaltet seine Wirkung, wenn wir von uns bereits bekannten Personen kaufen, oder wenn fremde Personen sich geschickt bei uns einschmeicheln. Wir sind dann viel eher geneigt, „Ja“ zu sagen, denn es ist (quasi) eine befreundete Person, von der wir kaufen. Das Sympathie-Prinzip wird ganz bewusst genutzt bei Tupperware-Parties. Auch Multi-Level-Marketing (MLM), neuerdings auch „Network-Marketing“ genannt, funktioniert so.

6. Soziale Bewährtheit („consensus“): „Das meistverkaufte Produkt“, „der führende Hersteller“, etc. Ja, wenn so viele das kaufen, dann muss es doch gut sein. Da kann ich ja nichts falsch machen… Oder stellen Sie sich einmal vor, wie der Sketch „Dinner for One oder Der neunzigste Geburtstag“ mit Freddie Frinton (an Sylvester Pflicht!) wirken würde, ohne die Lacher, Kiekser, und spitzen Schreie aus dem Publikum! – Es ist einfach so: Wir orientieren uns daran, was andere für gut halten.

die-psychologie-des-uberzeugens.jpgWer mehr darüber wissen möchte, sollte dieses Buch lesen: „Die Psychologie des Überzeugens“ von Robert B. Cialdini. Cialdini bezieht sich nicht nur auf Werbung und Verkauf. Er schildert anhand von zahlreichen Beispielen und Forschungsergebnissen, wie die genannten Prinzipien in vielen Lebensbereichen ihre Wirkung entfalten. Vielleicht häufiger als uns lieb ist reagieren wir automatisch auf bestimmte Reize. Das Durchschauen dieser Mechanismen kann uns dabei helfen, bewusstere und bessere Entscheidungen zu treffen.

Nonverbale Kommunikation lernen

Mask by Gerald Petersen (cc)In vorangegangenen Beiträgen habe ich gezeigt, dass die 55-38-7-Regel zwar ein Missverständnis ist (Mythos: 93% der Kommunikation ist nonverbal), dass auf der anderen Seite aber nonverbales Verhalten sehr wichtig ist für eine stimmige Kommunikation (Kongruenz in der Kommunikation).

Oft wird jedoch vereinfacht und verallgemeinert, und so ist das, was vermittelt wird und was bei den meisten hängen bleibt, nicht etwa „Kongruenz ist wichtig“, sondern „Körpersprache ist viel wichtiger als die verbale Aussage“ (wir erinnern uns: 93%). Viele Menschen fragen sich da, ob denn nicht Körpersprache erlernt werden kann. Dann wäre ich in der Lage, andere Menschen unterschwellig besser zu beeinflussen – zum Beispiel, sicherer zu wirken als ich tatsächlich bin, klüger zu wirken als ich tatsächlich bin, sexier zu wirken usw. Ich setze einfach eine Maske auf, je nach Bedarf. Und wo ein Bedarf ist, da gibt es auch ein Angebot. Viele Bücher und Seminare bieten an, dabei zu helfen, Körpersprache ganz bewusst einzusetzen, um sich selbst besser darzustellen.

Kann man Körpersprache lernen? Ich denke, so pauschal lässt sich das nicht beantworten. Ich warne jedoch vor denjenigen, die diese Frage vorschnell und uneingeschränkt mit „ja“ beantworten. Ich möchte hier zu einer realistischen Einschätzung beitragen. Unter dem Stichwort „Nonverbale Kommunikation“ heißt es in der Wikipedia:

Bei näherer Betrachtung und bewusster Wahrnehmung wird deutlich, dass nonverbale Kommunikation und Körpersprache zum überwiegenden Teil nicht steuerbar und oft auch nicht unmittelbar nachvollziehbar sind.

Die Teile der Körpersprache, die der Mensch hingegen im Rahmen sozialer Rollen zu kontrollieren versucht, kommen beim Gegenüber deswegen häufig als inkongruent an, weil sie „unbewusst“ als unstimmig zur verbalen Aussage aufgedeckt werden. … Diese Fähigkeit hat den Menschen bis zur Entwicklung des Großhirns evolutionär sinnvoll begleitet. Versuche, diese Abläufe kognitiv zu überlagern, stellen eine enorme Anforderung an die Konzentration dar und sind nur mit jahrelangem Training möglich.

Sie haben also die Wahl: Entweder Möglichkeit 1 – jahrelanges Training, obwohl Sie nicht als Schauspieler Ihr Geld verdienen, und das mit zweifelhaftem Erfolg. Denn Sie sind immer damit beschäftigt, Ihre eigentliche Regung zu unterdrücken und eine andere Regung zu produzieren – das kostet Aufmerksamkeit, die Ihnen woanders fehlt. Für einen Schauspieler ist die Situation eine andere: Für einen Schauspieler ist das Darstellung bereits der eigentliche Job, also bereits das Ergebnis, während es für Sie ja ein Mittel zum Zweck sein soll. Wenn es schon nicht einfach ist, zu schauspielern, so ist es noch viel anspruchsvoller, zu schauspielern und gleichzeitig eigene Ziele zu verfolgen.

Hinzu kommt, dass körpersprachliche Signale nicht eindeutig sind (auch wenn viele das so behaupten). Zum Beispiel, verschränkte Arme sind nicht immer ein Zeichen für Abwehr. Ich kann auch einfach nur ganz entspannt sein und meine Arme verschränken. Körpersprachliche Signale sind nicht gleichzusetzen mit Vokabeln, die für ganz bestimmte Bedeutungen stehen.

Oder Möglichkeit 2 – Sie ersparen sich diesen Krampf, und kommunizieren authentisch, d.h. „echt“, ohne sich zu verstellen. Auch das mag nicht ohne Training gehen, aber zumindest befinden Sie sich damit auf dem Weg zu sich selbst, und nicht auf einem Weg von sich selbst weg.

Ich meine: Wenn Sie an Ihrer Körpersprachen arbeiten, dann können Sie auf diesem Gebiet einiges erreichen, solange Sie sich im Einklang mit sich selbst befinden. Wenn Sie Ihr Anliegen richtig finden, dann kann Ihnen das eine oder andere bewusst eingesetzte körpersprachliche Verhalten dabei helfen, Ihre Botschaft erfolgreich zu vermitteln. Zum Beispiel, wenn Sie von einer Sache überzeugt sind, dann zeigen Sie es mit sicherem Auftreten! Und wenn Sie von einer Idee begeistert sind, dann zeigen Sie es mit lebendiger Gestik! Aber versuchen Sie bitte nicht, andere zu begeistern, wenn Sie selbst keine Spur Begeisterung empfinden. Wir Menschen sind nämlich sehr sensibel für nicht-kongruente Kommunikation!

Kongruenz in der Kommunikation

Im vorangegangenen Beitrag habe ich eine verbreitete Behauptung zur Wichtigkeit von nonverbalem Verhalten als Mythos entlarvt. Das bedeutet aber natürlich nicht, dass Körpersprache unwichtig ist. Sie ist jedoch nicht in der Weise wichtig, wie es manche darstellen (als pauschale 55-38-7-Regel).

Albert Mehrabian hat mit seinen Studien zur nonverbalen Kommunikation einen ganz wichtigen Sachverhalt der zwischenmenschlichen Kommunikation aufgezeigt: Wenn Körpersprache, Ton und Inhalt nicht übereinstimmen, so geht die inhaltliche Botschaft weitgehend verloren. Das gilt vor allem für emotional gefärbte Botschaften.

Wir können festhalten: Für eine effektive Kommunikation insbesondere über emotionale Themen sollen die drei Anteile an der Information (Gesichtsausdruck / Körpersprache, Stimme, verbale Aussage) übereinstimmen. Man spricht hier von Kongruenz (Übereinstimmung): Worte, Tonfall und Körpersprache passen zueinander.

Wenn die Informationen auf unterschiedlichen Kanälen nicht kongruent sind, dann irritiert das den anderen. Zum Beispiel, jemand sagt „Die neue Aufgabe gefällt mit gut“ und macht dabei ein Gesicht wie 10 Tage Regenwetter. Oder jemand sagt zu Ihnen „Zwischen uns ist alles in bester Ordnung“, und die Gesichtszüge verkrampfen. Wenn es solche widersprüchliche Botschaften gibt, was glauben Sie nun, was bedeutender für unsere Interpretation ist, die verbale Aussage oder die nonverbale Aussage? Richtig, die nonverbale Botschaft gibt den Ausschlag. Wir werden uns auf die verbale Aussage nicht verlassen.

Mythos: 93% der Kommunikation ist nonverbal

Nonverbal by Lil Erna (cc)Wer hat es nicht schon einmal gehört oder gelesen? In wie vielen Seminaren und Büchern wird dies verbreitet? Es wird die Behauptung aufgestellt: Der größte Teil der Information wird nonverbal vermittelt, und zwar 93%. Nur 7% wird verbal übermittelt. Das sei durch Studien belegt.

Nun, da werde ich skeptisch. Das würde doch bedeuten, ich sehe mir einen finnischen Film im Original an und, obwohl ich kein Wort Finnisch kann, verstehe ich dennoch 93% des Gesagten. Das scheint mir nicht plausibel.

Woher kommt überhaupt diese Behauptung? Es gibt zur nonverbalen Kommunikation viele Studien, doch die wohl einflussreichste stammt von Albert Mehrabian. Mehrabian führte 1971 einige psychologische Experimente durch, die zu folgendem Ergebnis kamen:
– 55% der Information werden durch das Gesicht vermittelt.
– 38% der Information werden über die Stimme vermittelt.
– 7% der Information werden verbal vermittelt.

Diese Zahlen wurden flugs verallgemeinert und zur Regel erklärt. Die 55-38-7-Regel oder Mehrabian-Regel. Und die besagt, dass man vieles reden kann, davon zählt nur 7% und viel wichtiger ist das Nonverbale, das macht in der Kommunikation 93% aus.

Wie sahen denn diese Experimente aus? Mehrabian ließ die Teilnehmer einige Worte einschätzen nach ihrer emotionalen Wertigkeit: Positiv (z.B. „Danke“), negativ (z.B. „Schrecklich“) oder neutral (z.B. „Wirklich“). Dann wurden diese Worte in einem bestimmten Tonfall vorgelesen, entweder positiv, negativ oder neutral. In einem weiteren Experiment ließ Mehrabian die neutralen Worte einschätzen, während die Teilnehmer ein Bild mit einer positiv gestimmten, negativ gestimmten oder neutral aussehenden Person ansahen. Und daher stammen die Zahlen.

Mehrabians Studien haben gezeigt, von welchen Faktoren unsere Sympathie für andere Menschen, die wir nicht kennen, abhängt. Die Sympathie für eine andere Person (mag ich – mag ich nicht – neutral) wird sehr stark durch nonverbales Verhalten bestimmt, etwa so: Unsere Gesamtsympathie für eine Person in einer zufälligen Situation setzt sich aus 7% verbaler Sympathie, 38% stimmlicher Sympathie und 55% Sympathie für das Gesicht des anderen zusammen.

Es wird deutlich, dass die Ergebnisse als allgemeine Kommunikationsregel überinterpretiert und missverstanden wurden.

Wir reden im Alltag nicht nur so miteinander, dass wir ein einzelnes Wort sagen. Mit normaler Kommunikation hat das also wenig zu tun. Es konnte auch gezeigt werden, dass die Teilnehmer in solchen Experimenten versuchen, den Zweck der Untersuchung zu erraten und sich dementsprechend verhalten. Wenn man diesen Faktor ausschaltet, zeigen sich schon andere Ergebnisse (Trimboli & Walker, 1987).

Und vor allem, die Ergebnisse beziehen sich auf die gefühlsmäßige Einschätzung von Sympathie, und können nicht so ohne weiteres auf die gesamte Kommunikation übertragen werden. Darauf macht auch Mehrabian selbst ausdrücklich aufmerksam.

Mythos: 93% der Kommunikation ist nonverbal.
Status: Zerstört.

Was Mehrabians Studienergebnisse tatsächlich bedeuten: Kongruenz in der Kommunikation.