Groupthink verhindern

The Cuba Missile CrisisNach dem Schweinebucht-Fiasko (1961) wollte John F. Kenndy es besser machen. In der Kubakrise (1962) bemühte Kennedy sich ganz bewusst, Groupthink (Gruppendenken) zu vermeiden. Er zog zu Meetings externe Experten hinzu, die ihre Sicht der Dinge darstellten. Er ermutigte die Gruppenmitglieder, Lösungsideen mit vertrauten Leuten auch außerhalb der Gruppe zu diskutieren. Teilweise unterteilte er die Gruppe in kleinere Gruppen, um den Gruppenzusammenhalt nicht allzu fest werden zu lassen. Ab und zu zug er sich aus den Diskussionen zurück, damit seine eigene Meinung nicht die Meinung der Gruppe zu sehr prägt. Die Welt stand „am Abgrund eines atomaren Infernos“ (Egon Bahr), doch wie allgemein bekannt ist, konnte die Kubakrise friedlich gelöst werden. Das ist nicht nur intelligenten Einzelpersonen, sondern auch einem intelligenten Gruppenprozess zu verdanken.

Wie kann man Groupthink verhindern?

Eine vordergründig einfache Lösung könnte sein, dass nur noch einer allein die Entscheidungen trifft. Das ist jedoch, insbesondere in komplexen Systemen, nicht ratsam. Ein einzelner Mensch hat nur begrenzte Kenntnisse, begrenzte Zeit, ist anfällig für Wahrnehmungsverzerrungen und tendiert dazu, sich nur an eigenen Interessen zu orientieren. Gruppen treffen tendenziell bessere und oft auch schnellere Entscheidungen als einzelne Individuen. Es ist vorteilhaft, wenn relevante  Informationen aus unterschiedlichen Quellen zusammen kommen, unterschiedliche Kompetenzen und Sichtweisen berücksichtigt werden, Einzelmeinungen in einen Wettstreit der Ideen treten, Ideen untereinander ausgetauscht werden, und Menschen sich gegenseitig in ihrer Kreativität anregen. Gruppen-Lösungen sind tendenziell von höherer Qualität.

Nicht Teams oder Meetings sind das Problem, sondern Unkenntnis und Unprofessionalität, wenn es um Gruppendynamik geht. Es geht nicht darum, Gruppenprozesse abzuschaffen, sondern es geht darum, dafür zu sorgen, dass Gruppenprozesse effektiv sind und gute Entscheidungen produzieren. Es gibt eine ganze Reihe von konkreten Maßnahmen, um bei Gruppenprozessen in Organisationen Groupthink zu verhindern. Irving Janis nennt folgende Möglichkeiten:

  1. Ermuntern Sie jeden, ein kritischer Gutachter zu sein. Das ermöglicht allen, Ihre Bedenken offen zu äußern.
  2. Als Führungskraft halten Sie sich mit ihrer eigenen Meinung zurück, wenn Sie der Gruppe Aufgaben geben.
  3. Bilden Sie voneinander unabhängige Gruppen, die an demselben Problem arbeiten.
  4. Untersuchen Sie alle aussichtsreichen Optionen gründlich und unvoreingenommen.
  5. Jedes Gruppenmitglied bespricht die Ideen der Gruppe vertrauensvoll mit Menschen außerhalb der Gruppe und meldet die Reaktionen zurück in die Gruppe.
  6. Laden Sie externe Experten ein, um an den Meetings teilzunehmen. Die Experten dürfen die Sicht der Gruppe kritisieren. Die Gruppenmitglieder dürfen mit den Experten diskutieren und Fragen stellen.
  7. Weisen Sie einem Gruppenmitglied die Rolle des Advocatus Diaboli zu. Die Rolle wechselt mit jedem Meeting, d.h. es nimmt immer ein anderes Mitglied die Rolle des Advocatus Diaboli ein.

Einige dieser Punkte kosten noch nicht einmal etwas und sind sind praktisch in jedem Gruppenprozess anwendbar. Einige Punkte sind nicht in jedem Fall oder ohne Probleme umzusetzen. Beispielsweise könnte es Probleme mit der Geheimhaltung und einen hohen Abstimmungsaufwand geben, wenn es mehrere Gruppen gibt, die an der Lösung eines Problems arbeiten.

In jedem Fall erfordert eine effektive Gruppe eine gewisse Reife der beteiligten Personen. Die Führungskraft sollte sich z.B. am Anfang mit der eigenen Meinung zurückhalten, das fällt sicher nicht allen leicht. Und jedes einzelne Teammitglied benötigt Fertigkeiten, nicht nur um eigene Ideen zu kommunizieren, sondern auch um Kritik respektvoll zu äußern.

Diese Punkte sollten ernsthaft geprüft und, soweit möglich, berücksichtigt werden.

Neben den von Janis genannten Maßnahmen sind auch bestimmte Methoden geeignet, Gruppendenken zu verhindern, zum Beispiel die Delphi-Methode oder die Cross Impact Matrix Method. Ich werde im nächsten Beitrag weitere Hinweise geben, wie Gruppenprozesse professionell gestaltet werden können und wie insbesondere Führungskräfte und Leiter zu erfolgreichen und effizienten Gruppenprozessen beitragen können.

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Groupthink kills – wie Gruppendenken zu schlechten Entscheidungen führt

Teamentscheidungen sind in der Regel besser als die Entscheidungen der einzelnen Teammitglieder. Und in heutigen Organisationen geht nichts ohne Teamarbeit. Aber Teamprozesse können ihre Tücken haben, und das widerum ist ein Grund dafür, dass Meetings nicht überall ein gutes Image haben. Eine dieser Tücken ist Groupthink bzw. Gruppendenken. Gruppendenken ist ein Phänomen der Gruppendynamik, das auftreten kann, wenn eine Gruppe Entscheidungen trifft oder Lösungen erarbeitet.

Der Begriff „Groupthink“ stammt von dem Psychologen Irving Janis (er arbeitete an der Yale University und der University of California, Berkeley). Janis fragte sich, warum Gruppen mit an sich kompetenten und intelligenten Mitgliedern manchmal schlechte und desaströse Entscheidungen treffen. Er entwickelte die Groupthink Theorie, die beschreibt, wie eine Gruppe auf eine systematische Art und Weise Fehler macht bei der Entscheidungsfindung. Die Theorie ist auch außerhalb der Scientific Community bekannt geworden, da einige der auf Groupthink zurückgeführten Entscheidungen katastrophale Auswirkungen hatten.

Was ist Groupthink?

Groupthink ist ein bestimmter Denkmodus von Menschen in einer Gruppe (Team, Meeting, Workshop, Konferenz, Ausschuss). Beim Gruppendenken versucht die Gruppe, Konflikte nicht aufkommen zu lassen oder zu minimieren, und einen Konsens zu erreichen, jedoch ohne Ideen angemessen kritisch zu bewerten, zu analysieren und zu testen. Individuelle Sichtweisen und die individuelle Kreativität geht verloren, Querdenken ist unerwünscht. Dabei ist es nicht etwa so, dass die Gruppenmitglieder sich unter Zwang fühlen – sie fühlen sich vielmehr der Gruppe sehr verbunden und vermeiden es von vornherein, in eine Konfliktsituation zu geraten. Die Harmonie der Gruppe wird als wichtiger empfunden als die realistische Einschätzung der Situation. Das Resultat kann dann sein: Eine Gruppe von klugen Menschen trifft dumme Entscheidungen.

Wann kann Groupthink auftreten?

Folgende Faktoren können eine Rolle spielen (nach Irving Janis und Clark McCauley):

  • Der Gruppenzusammenhalt ist sehr hoch (das „Wir-Gefühl“ ist sehr stark ausgeprägt).
  • Die Gruppe ist isoliert von anderen, insbesondere von konträren Meinungen.
  • Es werden keine systematischen Methoden angewendet.
  • Die Gruppenmitglieder sind homogen zusammengesetzt (z.B. gleiche soziale Herkunft, gleiche politische Ansichten, gleiches Alter etc.).
  • Die Gruppe wird von einem „starken“ Leiter geführt (direktiver Führungsstil).

Der erste Punkt ist wichtig, produziert allerdings für sich genommen noch kein Groupthink. Wenn jedoch ein zweites Merkmal hinzukommt, wird die Sache heikel. Und im letzten der hier genannten Punkte zeigt sich die besondere Bedeutung und besondere Verantwortung der Leiter oder Führungskräfte.

Was sind die Symptome von Groupthink?

Um Groupthink erkennen zu können, hat Janis eine Liste von acht typischen Symptomen erstellt:

  1. Illusion der Unverwundbarkeit: Es gibt einen überbordenden Optimismus, auch extreme Risiken werden akzeptiert.
  2. Rationalisierung von Warnsignalen: Was der Gruppenmeinung widerspricht, wird versucht, „passend“ zu interpretieren oder zu verharmlosen.
  3. Unerschütterlicher Glaube: Die Gruppe ist anderen moralisch überlegen, die Ziele der Gruppe sind automatisch richtig.
  4. Stereotypisierung von Andersdenkenden: Wer anderer Meinung ist, ist boshaft, schwach, blind, arrogant, voreingenommen oder dumm. Janis: “soft-headed groups are often hard-hearted when it comes to dealing with outgroups or enemies”.
  5. Druckausübung auf Abweichler: Wer die Meinung der Gruppe anzweifelt, dem wird Illoyalität unterstellt und der wird auf Linie gebracht.
  6. Selbstzensur: Gruppenmitglieder äußern abweichende Ideen oder gar Kritik an der herrschenden Mening nur andeutungsweise oder gar  nicht.
  7. Illusion der Einstimmigkeit: Alle Signale werden als Bestätigung der Gruppenmeinung interpretiert, Schweigen gilt als Zustimmung.
  8. Mindguards: Selbsternannte Meinungswächter schirmen die Gruppe ab von Menschen oder Informationen, die in eine andere Richtung deuten.

Ich habe das erlebt, und es war ein Fall wie aus dem Lehrbuch. Nur wer in dieselbe Richtung denkt, gehört zur in-group. Wer anders denkt, wird ausgegrenzt und gehört zur out-group. Das Verrückte am Groupthink ist, dass alle Gruppenmitglieder sich sehr wohl fühlen in der Gruppe und mit den Gruppen-Entscheidungen: „We are the Champions!“

Was sind negative Konsequenzen von Groupthink?

  1. Alternativen werden nicht oder unzureichend berücksichtigt.
  2. Ziele sind unvollständig.
  3. Risiken werden falsch eingeschätzt.
  4. Einmal getroffene Entscheidungen werden nicht mehr hinterfragt.
  5. Externe Experten werden nicht hinzugezogen.
  6. Es werden nicht relevante Informationen gesucht, sondern nur „passende“.
  7. Es gibt keinen Plan B.

Dem Groupthink-Phänomen wird unter anderen bei folgenden Ereignissen eine entscheidende Rolle zugeschrieben:

  • Das Schweinebucht-Fiasko (1961): Exilkubaner wollten mit Unterstützung der USA in Kuba landen und die revolutionäre Regierung Castros stürzen. Geplant hatte das Unternehmen die CIA. Die Invasion Kubas scheiterte vollständig. Es zeigte sich, dass die Annahmen und Planungen der CIA völlig unrealistisch waren.
  • Die Eskalation des Vietnam-Krieges: Der inszenzierte Tonkin-Zwischenfall als Rechtfertigung für ein Eingreifen der USA (1964), Bombardierung Nordvietnams und Landung von Kampftruppen (1965), Eingreifen der UdSSR und VR China, Ausweitung der Bombardierungen auf Kambodscha und Laos (1970). Der Krieg endete 1975 mit dem Sieg der nordvietnamesischen Truppen. Falsche Entscheidungen führten dazu, dass 3 Millionen Menschen getötet wurden.
  • Das Challenger-Unglück (1986): Die Raumfähre Challenger explodiert beim Start, alle 7 Besatzungsmitglieder sterben. Ursache für das Unglück war ein Dichtungsring, von dem bekannt war, dass er ein Risiko darstellt. Dennoch wurde für den Start entschieden. (Das Challenger Unglück – und was das mit Kommunikation zu tun hat)
  • Die Katastrophe von Tschernobyl (1986): Die Reaktorkatastrophe nahe Prypjat in der heutigen Ukraine (damals UdSSR) war die bis heute schwerste nukleare Havarie und eine der schlimmsten Umweltkatastrophen aller Zeiten. Reason (1987) stellt dar, dass Groupthink dort eine Rolle spielte. Gerade diese Katastrophe förderte die Perspektivenverschiebung von der rein technisch orientierten Sicht hin zur Betonung der Rolle des Menschen und psychologischer Faktoren (human factors).
  • Der Irakkrieg (2003): Beschrieben im Buch „Der Weg zum Irak-Krieg – ‚Groupthink‘ und die Entscheidungsprozesse der Bush-Regierung“ von Friederike Kuntz.
  • Der Zusammenbruch der britischen Northern Rock Bank (2007): Das Geschäftsmodell von Northern Rock beruhte auf dem Kredithandel und beinhaltete extrem hohe Risiken. Aufgrund der Subprime-Krise geriet die Bank in eine Liquiditätskrise. Es fehlte plötzlich so viel Geld, dass nur noch der Staat einspringen konnte – die Bank wurde 2008 verstaatlicht.

Robert S. Baron stellte 2005 nach einer Auswertung von jüngeren Studien zum Thema fest, dass das Groupthink-Phänomen sogar noch viel weiter verbreitet ist als Irving Janis annahm. Groupthink ist alltäglich und allgegenwärtig.

Lesen Sie in der Fortsetzung, wie Sie Groupthink verhindern können:

Teil 1 (mit Ideen von Irving Janis): Groupthink verhindern
Teil 2 (mit Ideen von Gerald Petersen): Effektiv in Gruppen arbeiten – Groupthink vermeiden