Beim Verhandeln objektive Kriterien anwenden

Japanische Kalligraphie: das Zeichen für Judo by Franklinbaldo (cc)Mancher Leser könnte auf die Idee kommen: „Das Harvard-Konzept klingt ja sehr schön, aber die Realität sieht anders aus“. Das Harvard-Konzept basiert jedoch keinesfalls auf einem „heile-Welt-Paradigma“ oder einer irgendwie zu harmonisch gedachten Realität. Ich zitiere (Das Harvard-Konzept):

Wie gut Sie auch immer die Interessen der Gegenseite verstehen, wie genial Sie auch die Interessen zusammen bringen, wie hoch Sie auch die künftigen gegenseitigen Beziehungen einschätzen mögen – immer werden Sie mit der harten Wirklichkeit einander widerstreitender Interessen konfrontiert sein. Und keine noch so schöne Rede vom beiderseitigen „Gewinn“ kann das aus der Welt schaffen.

Nur: Die Menschen versuchen meistens, solche Interessenkonflikte durch Feilschen um Positionen zu lösen: „Ich will dieses“ und „Ich fordere jenes“. Und das ist mit hohen Kosten verbunden. Das sachbezogene Verhandeln ist dagegen vom Willen der Verhandlungspartner unabhängig.

Das vierte Grundprinzip des sachbezogenen Verhandelns (Harvard-Konzept) lautet: Bestehen Sie auf der Anwendung neutraler Beurteilungskriterien. Es geht also darum, eine Lösung auf nachvollziehbare und legitime Prinzipien zu gründen. Finden Sie faire Kriterien, zum Beispiel Marktwert, Referenzfälle, Gutachten. Finden Sie faire Verfahrensweisen, zum Beispiel kennen wir alle dieses Muster für eine faire Verfahrensweise: Der eine teilt, der andere sucht aus.

Will der Verhandlungspartner sich nicht auf das sachbezogene Verhandeln einlassen, bringen Sie ihn auf die Schiene. Auch wenn Sie annehmen müssen, dass Ihr Verhandlungspartner von „Win-Win“ nichts hält, das Harvard-Konzept nicht kennt, und feilschen will: Tun Sie so, als ob beide Verhandlungspartner an der Lösung eines gemeinsamen Problems orientiert sind und behandeln Sie den Verhandlungspartner und seine Äußerungen entsprechend. Wenn der Verhandlungspartner konkrete Forderungen nennt, fragen Sie zum Beispiel:

„Wie kommen Sie auf diese Summe?“ oder
„Auf welcher Basis erscheint Ihnen Ihre Forderung als angemessen?“ oder
„Nach welchen Kriterien wird üblicherweise der Betrag festgesetzt?“

Die Autoren des Harvard-Konzeptes nennen es „Verhandlungs-Judo“, weil die Energie des Verhandlungspartners geschickt auf die sachliche Ebene gelenkt wird. Das hat etwas von einer „sanften Umerziehung“. Was auch immer die Gegenseite unternimmt: Bestehen Sie auf neutralen Beurteilungskriterien!

Die Beiträge dieser Serie im Überblick:

Verhandeln oder feilschen?
Hart verhandeln oder weich verhandeln?
Sachbezogenes Verhandeln
Beim Verhandeln Menschen und Probleme trennen
Beim Verhandeln auf Bedürfnisse konzentrieren
Beim Verhandeln objektive Kriterien anwenden
Kritik am Harvard-Konzept

Verhandeln oder feilschen?

harvard-konzept.jpgJeder verhandelt. Mit Kunden, Lieferanten, Geschäftspartnern, Mitarbeitern, Kollegen, beim Kaufen von mehr oder weniger wertvollen Sachen, mit dem Lebenspartner oder den Kindern. Obwohl Verhandeln ein wichtiger Bestandteil unseres Lebens ist, besteht noch sehr viel Bedarf, besser und effektiver zu verhandeln. Natürlich sind Schlagworte wie „Win-Win-Situation“ weit verbreitet, das sind aber oft nicht mehr als Worthülsen – denn aktiv eine Win-Win-Situation in einer Verhandlung zu schaffen, das gelingt nicht vielen. Da sind Skills gefragt.

Also ein Buch geschnappt! Um ein Buch kommt man beim Thema Verhandeln nicht herum: „Der Klassiker der Verhandlungstechnik” – das schreiben die Übersetzer des Buches „Das Harvard-Konzept“ gleich in den Untertitel. Das Buch von Roger Fisher, William Ury und Bruce Patton ist im Original bereits 1982 erschienen („Getting to Yes. Negotiating an agreement without giving in”) und hat sich in der Tat zu einem Klassiker entwickelt.

Die Autoren machen zunächst einmal klar, dass vieles, was wir in naiver Weise als „Verhandlung“ ansehen, nicht den Kriterien für gutes Verhandeln entspricht. Gemeint ist das „Feilschen“. Wir kennen das vom Flohmarkt oder Basar: Der Verkäufer nennt einen Preis, ich mache ein (weit darunter) liegendes Angebot. Mit unterschiedlichen Beteuerungen („kann ich nicht machen“) und mehr oder weniger stichhaltigen Argumenten („sehen Sie nur dieses Detail hier“) nähern wir uns einander mit den Zahlen an und es kommt zu einer Einigung oder eben nicht. So läuft es auch häufig in anderen Situationen, nicht nur auf dem Basar. Dieses prototypische Verhalten nennen die Autoren „Feilschen um Positionen“. Jede Seite nennt Positionen, und neue Positionen, um einen Kompromiss zu erreichen.

Nun, was sind die Kriterien für eine gute Verhandlung?

  1. Die Verhandlung erzielt eine vernünftige Übereinkunft. Das heißt, die legitimen Interessen jeder Seite werden in höchstmöglichem Maße erfüllt, die Vereinbarung ist fair bzw. gerecht, die Vereinbarung ist nachhaltig, die Interessen der Allgemeinheit sind berücksichtigt.
  2. Die Verhandlung ist effizient. Das heißt, die Verhandlung dauert nicht länger als nötig. Nun mögen viele meinen, die Verhandlung dauert so lange wie sie dauert, aber die Frage ist, womit sich die Verhandlungspartner beschäftigen. Feilschen sie um Positionen und verrennen sich, oder lösen sie gemeinsam ein Problem?
  3. Die Verhandlung verbessert die Beziehung zwischen den Parteien oder wahrt zumindest die bestehende Qualität der Beziehung. Nun mögen viele meinen, entweder das eine oder das andere: Entweder ich bin nett und dann ist die Beziehung ok, oder ich kämpfe und verhandle ohne Rücksicht, dann ist das Ergebnis in meinem Sinne (und die Beziehung gestört – na und). Es ist eine kaum zu unterschätzende Erkenntnis, dass wir in einer Verhandlung mit unterschiedlichen Interessen sowohl ein gutes Ergebnis erzielen können als auch gleichzeitig die Beziehung verbessern können.

Das Feilschen um Positionen führt selten zu den besten Ergebnissen. Es ist nicht effizient, da die Spielregeln verlangen, mit einer extremen Position zu beginnen, möglichst lange daran festzuhalten, den anderen über die wahre Position zu täuschen, nur kleine Zugeständnisse zu machen, usw. Außerdem müssen eine ganze Menge Entscheidungen gemacht werden; das alles kostet Zeit. Hinzu kommt, dass der Willenskampf nicht nur die Gefahr des Scheiterns erhöht, sondern auch die Beziehung belastet und möglicherweise zerstört.

Ich werde hier in einer Serie das Harvard-Konzept des Verhandelns darstellen. Weitere Beiträge folgen.

Die Beiträge dieser Serie im Überblick:

Verhandeln oder feilschen?
Hart verhandeln oder weich verhandeln?
Sachbezogenes Verhandeln
Beim Verhandeln Menschen und Probleme trennen
Beim Verhandeln auf Bedürfnisse konzentrieren
Beim Verhandeln objektive Kriterien anwenden
Kritik am Harvard-Konzept

I have a dream – als Fallbeispiel

220px-martin_luther_king_-_march_on_washington.jpgIch habe im vorhergehenden Beitrag eine Aufzeichnung der berühmten Rede von Martin Luther King, jr. („I have a dream“) eingestellt. Und ich bin der Meinung, wir können von King und seinen rhetorischen Fähigkeiten eine Menge lernen.

Was also macht diese Rede so kraftvoll? Und wie können wir davon für unsere eigene Kommunikation profitieren?

Howard Gardner, Kognitionspsychologe und Harvard Professor, Psychologen bekannt für seine Theorie der multiplen Intelligenzen, nennt folgende Erfogsfaktoren für eine gute Rede: „the story must be simple, easy to identify with, emotionally resonant, and evocative of positive experiences“. Wenden wir diese Kriterien auf die Rede von M.L. King an, dann stellen wir fest, dass alle Erfolgskriterien da sind. Die Rede ist:

Einfach – für jeden zu verstehen. Jeder kapiert, um was es geht.
Inspirierend – eine große Idee wird vermittelt.
Emotional – die Rede verzichtet auf sachlogische Argumentation, setzt stattdessen auf emotionale Ansprache und Begeisterung.
Positiv – ein positiver Zukunftsentwurf wird anschaulich gemacht.

Nun, wir sind vielleicht Papst, aber wir sind nicht King. Wie kann man das umsetzen? Ich meine, konkret. Wie können wir das umsetzen, wenn es um eine Angelegenheit aus unserer eigenen Lebenswelt geht? Nehmen wir an, du möchtest deinen Partner für ein bestimmtes Urlaubsziel begeistern, das der gar nicht auf dem Zettel hatte. Oder eine Führungskraft möchte einen Mitarbeiter dafür gewinnen, ein Jahr für die Firma nach China zu gehen (und für den Mitarbeiter kommt das eher überraschend). Oder ein Verkäufer möchte einem Kunden etwas verkaufen, was für den Kunden eine große Investition bedeutet.

Wenn wir andere für eine Idee oder ein Vorhaben beigeistern wollen, dann sind folgende Elemente besonders wichtig (ich verknüpfe hier Teile des Programms Positiv Beeinflussen mit der Rede von M.L. King):

1. Wir beziehen uns auf eine Gemeinsamkeit. Und auf dieser Gemeinsamkeit können wir aufbauen. King formt aus den Demonstranten eine Gemeinschaft. Er holt die Menschen in’s Boot und setzt das gegenwärtige Beisammensein in einen zeitlichen Zusammenhang („the greatest demonstration for freedom in the history of our nation“). Er schildert eine gemeinsame historische Erfahrung und die aktuelle Situation („100 years later“, „we can never be satisfied“). Er spricht gemeinsame Werte an („declaration of independence“ – die kennt wirklich jeder Amerikaner).

2. In der Regel wollen wir ja, dass jemand etwas Bestimmtes tut oder ein Verhalten ändert. Wir nennen also unser Ziel. King nennt das Anliegen und den Grund für die Zusammenkunft: Es geht darum, Gerechtigkeit einzufordern („cash this cheque“, „now is the time“).

3. Wir bieten eine Vision. Das machen wir, indem wir eine Situation so beschreiben, als wäre sie schon Realität. Diese Phase leitet King ein mit der berühmten „i have a dream“-Sequenz („i have a dream“, „justice rolls down like water“, „we will be able“, „free at last“).

Durch diese Elemente wird die Rede in ihrer Wirkung: Inspirierend, emotional und positiv.

Nehmen wir an, du fühlst dich inspiriert, diese Ideen selbst anzuwenden. Dann laß die Rationalität und Logik einfach mal beiseite. Stattdessen, habe das große Ganze im Auge. Frage dich, was diese drei Elemente für dein eigenes Anliegen bedeuten. Was ist überhaupt dein Anliegen? Was sind Gemeinsamkeiten, auf die du Bezug nehmen kannst? Wie sieht, möglichst anschaulich, deine Wunsch-Situation aus?

Dieses „Begeistern“ ist natürlich nicht in jeder Situation geeignet, aber doch in vielen Situationen ein sehr effektiver Stil.