West Wing

„Uh, ah das ist politisch“ wird schmallippig gesagt und meint so viel „Hier brauch ich nichts zu machen, weil hier kann ich nichts machen!“.  Das Politische oder das, was als das Politische wahrgenommen wird, ist das Rückzugsgebiet mancher Angestellten in deutschen Unternehmen. In diesem unbestimmten Raum darf er sich in die Ohnmacht zurückziehen und sich als kleines Marionettchen fühlen und braucht auch nichts mehr zu machen außer in der Teeküche irgendwie wissend ohne etwas zu wissen dem Kollegen zuzuraunen „das ist politisch!“ Mein Nutzen davon? Ich bin zwar Opfer, aber dafür moralisch überlegen. Die Antidepressiva dürfen schon mal bestellt werden.

Bumm – Denkverbot, das ist politisch. So einfach ist das manchmal. Ich habe das Gefühl, dass die Business Sprache auch dank dem Einzug des Englischen viele Wörter benutzt, die Denkverkürzungen sind und trotzdem selbstwerterhöhend funktionieren. Tough Cookie oder Shitstorm oder wenn jemand voller Stolz sagt „Bullshit Bingo“, wissend lacht, dann ist  man selbst versucht, sofort Bingo zu rufen.

Aber wie funktioniert nun das Politische? Wir könnten zwar Oswald Neuberger’s tolles Buch lesen, aber das wäre mir jetzt zu wenig unterhaltsam. Wir könnten uns Günter Wallrafartig als ganz alter Mann verkleiden und in die FIFA einschleichen und mal schauen, was der Sepp Blatter macht. Diese Aktion wäre sicherlich ein Tough Cookie und wenn es dann rauskommt, dann kommt der Shitstorm. Also bleibt uns, um wirklich herauszufinden, wie das ominöse Politische funktioniert, DVD zu schauen und zwar das hervorragende „West Wing“.

Die Serie von Mastermind Aaron Sorkin handelt von dem fiktiven US-Präsidenten Josiah Bartlet und dessen Beraterstab. Wir sehen, wie die Entscheidungsprozesse im Weißen Haus funktionieren. Wir sehen ständig Menschen, die in Gängen und Bürolabyrinthen laufen und reden. Die Serie ist nie stumm. Stets wird gehandelt, Tauschwerte für Kongressabgeordnete entwickelt, Anwendungen von Gesetzen gedehnt, Beziehungen aufgebaut und Ziele verfolgt. Wie und wann gehen wir damit an die Presse und immer geht es Schlag auf Schlag. Ein Fest für Kommunikationsinteressierte.

Also falls Sie wirklich mal wissen wollen, wie das funktioniert mit dem Politischen, legen Sie West Wing ein und drücken Sie auf „Play all“.

Die Kommunikation in den Zeiten des Wahlkampfes

Deutschland hat gewählt. Wahrscheinlich fiel diesmal sehr vielen Menschen die Entscheidung schwerer als in vorangegangenen Wahlen. Denn der Wahlkampf war inhaltsleer und auch der Anteil der Nichtwähler war diesmal höher. Immerhin wurde deutlich, dass die Fortführung der großen Koalition nicht gewünscht ist.

Leider zeigte sich in der Wahlkampf-Kommunikation eine Abkehr von der Realität. Und das Schlimme ist, dass die Parteien Erfolg damit hatten. Die CDU ist gewählt worden, obwohl sie inhaltliche Auseinandersetzung vermieden hat, die FDP ist gewählt worden, obwohl sie unrealistische Steuersenkungen will, die Linke ist gewählt worden, obwohl sie populistisch unfinanzierbare Wohltaten fordert.

Der Wahlkampf 2005 war ganz anders. Es wurde eine inhaltliche Auseinandersetzung geführt, mit klaren Aussagen, was nach der Wahl passieren soll, bis hin zur Ankündigung von Steuererhöhungen. Der Wähler hat diese Ehrlichkeit bestraft, so zumindest lautet die Lehre, die die Parteien daraus gezogen haben, insbesondere die traumatisierte CDU.

Ich halte diese Entwicklung („bloß nichts Falsches sagen, also bloß nicht die Wahrheit sagen“) für sehr bedenklich:

„Das Volk misstraut den Politikern, die Politiker wollen dem Volk gefallen. Sie erforschen aus diesem Grund den Volkswillen … Und versuchen …, den Menschen nach dem Mund zu reden. Man will ja beliebt sein und gewählt werden. Nützt aber nichts, wegen dem verdammten Misstrauen. Aus der Kommunikation zwischen Volk und Politik ist eine künstliche Zone geworden.“
Stephan Lebert im ZEIT Magazin Nr. 40, 24.9.2009

Das ist eine ungute Dynamik für die Demokratie. Die Politiker sagen, was ihre Klientel (angeblich) hören will. Es zeigt sich, dass das so nicht umsetzbar ist. Dadurch steigt das Misstrauen und die Politik(er)verdrossenheit. Wenn die Demokratie dauerhaft geschwächt werden sollte, haben wir noch größere Probleme als heute. Ich wünsche den Politikern mehr Mut, die echten Probleme anzusprechen und dem Volk mehr Reife, Realitätssinn von den Politikern einzufordern.

Der Obama-Crash-Kurs in Rhetorik

Barack Obama wurde vom TIME Magazin als „Person des Jahres 2008“ ausgezeichnet. Das ist nun wenig überraschend. Aber führen wir uns noch einmal vor Augen, wie unwahrscheinlich es schien, dass Obama zum Präsidenten der USA gewählt wird. Das TIME Magazin begründet die Wahl folgendermaßen:

„In einer der verrücktesten Wahlen der US-Geschichte hat er fehlende Erfahrung, einen komischen Namen, zwei Kandidaten, die politische Institutionen sind, und die Kluft zwischen den Rassen überwunden, um der 44. Präsident der Vereinigten Staaten zu werden.“

TIME Magazine

Obama hat das zum großen Teil seinen herausragenden kommunikatorischen Fähigkeiten zu verdanken. Als Beispiel sehen Sie hier die Rede von Obama am 24.7.2008 in Berlin:

Mit deutscher Übersetzung, Dauer 28:52
[Link entfernt – das Video steht leider im ARD YouTube Channel nicht mehr zur Verfügung]

Auf Englisch, Dauer 25:40

Nehmen wir an, Sie sind Führungskraft und wollen eine Rede halten. Hier sind einige Punkte, von denen wir anhand dieser Rede für die eigene Rhetorik lernen können (frei von rhetorischen Fachbegriffen!):

  • Seien Sie sich bewußt, in welcher Rolle Sie sprechen. Obama stellt klar, dass er nicht als Wahlkämpfer auftritt (daher auch in der gesamten Rede kein „Yes, we can!“), sondern als „Mitbürger“.
  • Stellen Sie nicht gleich sich selbst in den Mittelpunkt, sondern danken Sie erstmal anderen („Ich danke … allen Deutschen … der Bundeskanzlerin … euch allen …“). Das signalisiert eigene Bescheidenheit und Anerkennung für die Beiträge anderer.
  • Zeigen Sie (sparsam eingesetzten) Humor („ich bin mir bewußt, dass ich nicht so aussehe wie der Amerikaner, der zuletzt hier gesprochen hat“).
  • Verwenden Sie eine bildhafte Sprache. Obama macht das ganz hervorragend; er sagt z.B. nicht „Vor 60 Jahren begann unsere Partnerschaft“, sondern er sagt „Diese Partnerschaft hat vor 60 Jahren begonnen – an dem Tage, an dem das erste amerikanische Flugzeug die Landepiste von Tempelhof berührte“. Bilder emotionalisieren und bleiben länger haften.
  • Erzählen Sie eine Geschichte (neudeutsch: Storytelling). „Und da begann die Luftbrücke … alles sprach gegen den Erfolg der Maßnahme … und an einem Tag im Herbst kamen hunderttausende …“. Spannende Geschichten werden immer gerne gehört.
  • Zeigen Sie sich geschichtsbewußt. Auf Unternehmen übertragen bedeutet das: Seien Sie sich bewußt, was die Wurzeln des Unternehmens sind und worin Kontinuität besteht. Sie können auch an ein ganz konkretes Ereignis anknüpfen, so wie Obama an die Rede Ernst Reuters anknüpft: „Völker der Welt, schaut auf Berlin!“
  • Setzen Sie punktuell eine rhetorische Wiederholung ein: Obama appelliert mehrfach an die „Völker der Welt“, um Rhythmus in die Rede zu bringen und um die Aussage zu verstärken.
  • Gerade in der Krise wichtig: Geben Sie den Menschen Hoffnung (Obama sinngemäß: Wenn wir zusammen halten, können wir jedes Problem überwinden).
  • Denken Sie auch an andere. Für ein Unternehmen können das Stakeholder sein.
  • Gestehen Sie eigene Schwächen ein („Ich weiß, dass mein Land nicht perfekt ist … wir haben Fehler gemacht“). Das zeugt von realistischer Einschätzung und Respekt für die Erfahrungen der Zuhörer.
  • Schließen Sie mit einem Appell. Obama sinngemäß: Es ist die Aufgabe unserer Generation, die Herausforderungen unserer Zeit erfolgreich zu meistern.

Ein für mich besonders auffälliges Merkmal dieser Rede besteht in der Herausstellung von Gemeinsamkeiten. Das ist eine machtvolle Art und Weise, eine tragfähige Basis zu schaffen für eigene Anliegen.

  • Obama stellt sich dar als „Mitbürger der Welt“.
  • Er spricht gemeinsame Werte an, etwa den „Traum von der Freiheit“.
  • Er erinnert an gemeinsame Erfahrungen, das gemeinsam Erreichte und an die lange Partnerschaft.
  • Er spricht gemeinsame Befürchtungen an (z.B. bezgl. der Sicherheit) und gemeinsame Hoffnungen (z.B. auf Frieden).
  • Er weist auf gemeinsame Herausforderungen und die gemeinsame Verantwortung hin.

Sie können viel damit gewinnen, aber bitte verstehen Sie das nicht als eine Sammlung rein technischer rhetorischer Kniffe – sagen Sie nur das, was Sie ehrlich meinen und tun Sie nur das, womit Sie sich wohl fühlen. Obama wirkt bei allem sehr authentisch, bei ihm ist das echt und wahrhaftig. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viel Anerkennnung und Erfolg mit eigenen Reden!

Obama-Check für deutsche Politiker

Fasziniert blickten wir auf den Wahlkampf und die Wahl in den USA. Barack Obama euphorisiert die Menschen mit dem Versprechen der Veränderung (Change) und gibt ihnen Hoffnung (Hope) auf eine bessere Zukunft (Progress). Im Vergleich wirken deutsche Politiker langweilig.

Keiner unserer zeitgenösssichen Politiker kann es mit Obama aufnehmen, wie unterschiedliche Obama-Checks zeigen (z.B. MOPO, FTD). Was zeichnet Obama aus? Die FTD bewertet die Kriterien Charisma, Glaubwürdigkeit, Rhetorik, Change-Faktor. Die MOPO bewertet ganz ähnlich Charisma, Glaubwürdigkeit, Sprachgewalt, Visionen, Coolness (letzteres soll die Ausstrahluing auf die Jugend abbilden).

Einige Ergebnisse des Obama-Ckecks der FTD vom 11. November (möglich waren 5 Sterne pro Kriterium):

Charisma Glaubwürdigkeit Rhetorik Change-Faktor
Angela Merkel 2 4 2 1
Frank Walter Steinmeier 2 4 2 3
Franz Müntefering 4 2 5 3
Oskar Lafontaine 4 1 4 5
Guido Westerwelle 2 2 5 2
Roland Koch 1 1 5 0

Den MOPO-Check (mit anderer Zusammensetzung der bewerteten Politiker) gewinnen: Klaus Wowereit, Cem Özdemir, Christian Wulff. Diese haben auch die höchsten Charisma-Werte erhalten.

Können wir bald einen deutschen Obama erleben? Ich halte das für unwahrscheinlich: 1. Das Wahlvolk fürchtet sich vor Veränderung. Veränderung und Fortschritt werden hier nicht als Versprechen, sondern als Bedrohung wahrgenommen (die letzte erwähnenswerte Veränderung, die Agenda 2010, wurde gnadenlos von den Wählern bestraft). 2. Wer selbst Politiker ist, scheint keine Veranlassung zu sehen, etwas mehr Schwung in die Politik zu bringen: „Sie können Wahlbeteiligung bei Bundestagswahlen selbst mit langweiligen Spitzenfiguren bekommen“ (Joschka Fischer kürzlich im Deutschlandfunk). 3. Und dann war da noch der Hitler. Der war ja auch charismatisch. Und hat ja damals auch die Leute begeistert. Dieser Vergleich ist unfair, denn Charisma sagt noch nichts aus über Inhalte oder Werte. Aber der Wink mit dem „Hitler“ kann immer noch einschüchtern.

Mein Fazit: Politik ist nie rein rational, sondern immer auch sehr emotional, sowohl in den USA als auch in Deutschland. Aber in Deutschland scheinen negative Emotionen zu überwiegen – Krisengerede, Wut und Angst. In den USA überwiegen positive Emotionen – man blickt, trotz allem, optimistisch in die Zukunft.

Politik im Web 2.0 – Fehlanzeige

Welche Parteien und Spitzenpolitiker nutzen das Web für sich? Das ist die Fragestellung der Kurzstudie „Politik im Web 2.0“ von newthinking communications GmbH.

Barack Obama führt einen intensiven Wahlkampf im Internet. Natürlich geht es dabei unter anderem auch um Spendengenerierung, und das unterscheidet die Situation in den USA von der Situation in Deutschland, aber der Wahlkampf des Präsidentschaftskandidaten wurde in Deutschland doch sehr aufmerksam verfolgt und es kann niemandem entgangen sein, dass Obama eine Kommunikationsstrategie verfolgt, die stark auf das Internet baut, und dass er damit Erfolg hat. Junge Menschen sind im Internet unterwegs, das ist kein Geheimnis. Da müssten sich hiesige Politiker doch eifrig auf das Thema stürzen, denn nächstes Jahr ist Bundestagswahl.

Weit gefehlt, wie die Studie belegt: Die Präsenz von Politikern im Web 2.0 ist fast nicht existent (schon mal in XING einen Spitzenpolitiker gefunden?), eine Interaktion (Schlüsselmerkmal des Web 2.0) findet nicht statt, von einer internetbezogenen Kommunikationsstrategie kann keine Rede sein.

Spitzenreiterin bei Facebook ist Angela Merkel mit heute 356 Freunden (zum Vergleich: Obama hat 1,1 Millionen). Ihr Profil besteht aus einem (sympathisch wirkenden) Foto, einem aus der Wikipedia kopierten Lebenslauf und 5 Kurzmeldungen – das ist mager. Allerdings macht sie einen gut produzierten Podcast mit wöchentlichen Beiträgen. Kurt Beck ist nicht auf Facebook vertreten (hat keine Freunde?), und die junge Politikergeneration sieht auch nicht besser aus.

Vielleicht geht das aus Sicht der Politiker so: Ich stelle (wenn überhaupt) unattraktive Inhalte ins Netz, und ich biete keine Interaktionsmöglichkeit -> die Menschen sind nicht interessiert -> sage ich doch, Internet und der ganze Web 2.0 Quatsch bringt nichts!

Keine Ahnung, was ein Browser ist, aber PCs zu „neuartigen Empfangsgeräten“ erklären, damit die GEZ abkassieren kann. Da haben wir plötzlich Netz-Fantasie, gell, liebe Politiker?

Beiträge und Stimmen zum Thema:
FTD: Verloren im Web 2.0
Spreeblick: Web 2.0 – Politikfrei?
golem.de: Die Politik scheut das Web 2.0
netzpolitik.org: Kurzstudie: Politik im Web 2.0 – Keine Freunde für Kurt Beck

Gut übereinander reden

Edmund Stoiber hat einen Anfall von Ironie? Zur Suche nach einer Nachfolgelösung (Quelle: FTD):

Ich habe mit allen Gesprächspartnern vereinbart, dass wir alle natürlich pausenlos gut übereinander reden.

Good advice für diejenigen, die in die Politik gehen wollen oder schon drin sind. Nicht nur, dass man gut übereinander redet, obwohl man es nicht so meint – nein, man vereinbart gleich, dass man gut übereinander redet (pausenlos), den Kollegen ist sonst nicht zu trauen. Und neuerdings, man redet darüber, dass man gut übereinander redet.

Ich möchte dann doch nicht in die Politik gehen.