… und ständig tickt die Selbstwertbombe

... und ständig tickt die SelbstwertbombeWie viele persönliche Probleme werden in den Arbeitsalltag mithineingetragen? Vermutlich eine große Menge. Um wie viel einfacher ist die Arbeit, wenn man sich selbst ziemlich in Ordnung findet ohne überhebliche Arroganz auszustrahlen? Wie viel Mühe und Anstrengung kostet jedes Gespräch, jeder unvermeidliche berufliche Konflikt, wenn das eigene Selbst ständig in Frage gestellt wird?

Woher kommen all diese Selbstzweifel und was kann der Zweifelgeplagte dagegen machen? Das sind Fragen, die Harlich H. Stavemann in seinem gerade erschienen Hörbuch  „… und ständig tickt die Selbstwertbombe: Selbstwertprobleme erkennen und lösen“ beantwortet.

Dysfunktionale Selbstkonzepte entstehen häufig durch Pauschalisierungen.  Dann verallgemeinern Selbstwertbestimmungen die Konsequenz von singulären Ereignissen.

Wenn ich die Prüfung nicht schaffe, bin ich nichts wert.
Wenn mir bei dem Vortrag niemand zuhört, dann bin ich nicht interessant.

Andere Selbstwertbestimmungen entstehen durch die Vorstellung, was dritte machen oder wollen. Dadurch macht sich derjenige mit einem dysfunktionalen Selbstwert abhängig von anderen und hat sein eigenen Selbstwert nicht mehr unter Kontrolle:

Ich kann niemanden etwas bieten.
Die anderen sind stets viel cleverer als ich.
Ich kann mich bei anderen nie durchsetzen.

Stavemann beschreibt ein mögliches  Umlernen solcher schädlichen Selbstwertbestimmungen und bedient sich dabei der kognitiven Verhaltenstherapie. Dabei rät er typische Problemsituationen zu sammeln, in denen das negative  Selbstkonzept aktiviert wird und einem gewünschten Verhalten im Wege steht. Dann werden neue, passendere Selbstwertbestimmungen entwickelt. Also unter anderem vormals starre und schädliche Selbstwertbestimmungen in veränderbare Konzepte überführt. Folgende Beispiele werden genannt:

Ich bin ein Versager – Ich habe in dieser Situation versagt.
Ich bin ein Angsthase – Ich habe mich davor  gefürchtet.
Ich bin das allerletzte – Das mag ich nicht an mir.

Im Geiste sollen dann Situation mit dem neuen Selbstkonzept durchgespielt werden. Dabei wird ein inneres Drehbuch angelegt. Steht das, geht es zu den Life-Übungen. Hierfür stellt der Autor einen 7-Schritte Plan dar:

1.    Sorgfältige Vorbereitung der Life-Übung.
2.    Konkrete Übungsplanung und gezieltes Herangehen
3.    Das innere Drehbuch beachten.
4.    Notfalls Gedankenstopps einlegen.
5.    Zeit für die Selbstreflexion nehmen.
6.    Übung zu Ende führen.
7.    Nachbereitung und Bewertung der Übung.

Das Hörbuch ist insgesamt gut aufgebaut und deckt die wesentlichen Erkenntnisse der Selbstwertproblematik ab. Natürlich ist das Hören ein guter Anlass auch mal wieder über seine eigenen Selbstkonzepte nachzudenken.

Gestört haben mich einige zähe Stellen, in denen Selbstverständlichkeiten lange ausgebreitet werden.  Die mittlerweile erwachsene MTV Generation und die aktuelle ADHS Generation hätten unter Umständen das ein oder andere Mal vorgespult und würden so auf ihren Selbstwertproblemen sitzen bleiben.

Das Ich, das reicht!

Ein Zitat aus der aktuellen Zeit zu dem Thema Verhaltenstherapie:

„Im Zentrum [der Verhaltenstherapie] steht das Verhalten des Klienten, das sich aus seinen Erinnerungen und Emotionen, Wahrnehmungen und der Beurteilung der Ereignisse zusammensetzt. In diesen Prozess schleichen sich im Laufe des Lebens nur allzu leicht Fehlannahmen ein. Das ist in den meisten Fällen kein Problem – aber bei entsprechender Veranlagung kann ein verzerrtes Welt- und Selbstbild zu viel Kraft kosten. Plötzlich sieht sich jemand ständig persönlich attackiert, wo kein Angriff gemeint war. Oder jemand meint unentwegt Dinge leisten zu müssen, die niemand von ihm verlangt hat.“

Die hier als erste erwähnte negative Konsequenz wird spielerisch von Paul Watzlawick durch seine berühmte Geschichte mit dem Hammer dargestellt. Ständig zu glauben, andere attackieren mich und  können mich nicht leiden, das muss ein schwieriges Leben sein.

Die zweite negative Konsequenz beschreibt die Sorge, mein Ich reicht nicht aus. Ich muss etwas anderes sein als ich selbst bin, um etwas wert zu sein. Viele dysfunktionale Glaubenssätze treiben diese Sorge. Wer morgens aufwacht und den automatisierten Gedanken hat, „ich darf keinen Fehler machen“ oder „alle müssen mich mögen“, wird es sehr schwer haben, den Tag ohne große Enttäuschung zu erleben.

Vieles hilft, um ein psychisch gesundes Leben zu führen. Manchmal reicht ein Blick in die Popkultur, um ein kleine Analogie zu bilden. Im Interview mit zdf.kultur sagte Noel Gallagher letzten Monat auf die Frage, ob er Sorge habe, in seiner Solokarriere zu versagen sinngemäß, dass die Leute zu seinen Konzerten wegen ihm kommen und der Beste, der Noel Gallagher sein kann, bin ich. Nuff said!

Der Wert des Ichs und des Tuns und der Suche nach dem zu machen, was Ich liebe und nicht, was ich glaube, was andere denken, was für mich gut wäre, ist das zentrale Thema von Steve Jobs berühmter Rede an der Stanford University:

You’ve got to find what you love. And that is as true for your work as it is for your lovers. Your work is going to fill a large part of your life, and the only way to be truly satisfied is to do what you believe is great work. And the only way to do great work is to love what you do. If you haven’t found it yet, keep looking.

Das Ich ist der Maßstab mit meiner Zufriedenheit, nicht das, was ich glaube, was die Umwelt glaubt. Erst dann kann das Ich Großes bringen und aus meiner Umwelt ausbrechen. Wie beispielsweise der aktuell Führende der Tour de France Bradley „Wiggo“ Wiggins, der Mod, der seinen Scooter mit dem Fahrrad tauschte:

Kids from Kilburn didn’t become favourites for the Tour – you were either a postman, a milkman or worked in Ladbrokes.

Go Wiggo, wir drücken die Daumen!