Die Kommunikation in den Zeiten des Wahlkampfes

Deutschland hat gewählt. Wahrscheinlich fiel diesmal sehr vielen Menschen die Entscheidung schwerer als in vorangegangenen Wahlen. Denn der Wahlkampf war inhaltsleer und auch der Anteil der Nichtwähler war diesmal höher. Immerhin wurde deutlich, dass die Fortführung der großen Koalition nicht gewünscht ist.

Leider zeigte sich in der Wahlkampf-Kommunikation eine Abkehr von der Realität. Und das Schlimme ist, dass die Parteien Erfolg damit hatten. Die CDU ist gewählt worden, obwohl sie inhaltliche Auseinandersetzung vermieden hat, die FDP ist gewählt worden, obwohl sie unrealistische Steuersenkungen will, die Linke ist gewählt worden, obwohl sie populistisch unfinanzierbare Wohltaten fordert.

Der Wahlkampf 2005 war ganz anders. Es wurde eine inhaltliche Auseinandersetzung geführt, mit klaren Aussagen, was nach der Wahl passieren soll, bis hin zur Ankündigung von Steuererhöhungen. Der Wähler hat diese Ehrlichkeit bestraft, so zumindest lautet die Lehre, die die Parteien daraus gezogen haben, insbesondere die traumatisierte CDU.

Ich halte diese Entwicklung („bloß nichts Falsches sagen, also bloß nicht die Wahrheit sagen“) für sehr bedenklich:

„Das Volk misstraut den Politikern, die Politiker wollen dem Volk gefallen. Sie erforschen aus diesem Grund den Volkswillen … Und versuchen …, den Menschen nach dem Mund zu reden. Man will ja beliebt sein und gewählt werden. Nützt aber nichts, wegen dem verdammten Misstrauen. Aus der Kommunikation zwischen Volk und Politik ist eine künstliche Zone geworden.“
Stephan Lebert im ZEIT Magazin Nr. 40, 24.9.2009

Das ist eine ungute Dynamik für die Demokratie. Die Politiker sagen, was ihre Klientel (angeblich) hören will. Es zeigt sich, dass das so nicht umsetzbar ist. Dadurch steigt das Misstrauen und die Politik(er)verdrossenheit. Wenn die Demokratie dauerhaft geschwächt werden sollte, haben wir noch größere Probleme als heute. Ich wünsche den Politikern mehr Mut, die echten Probleme anzusprechen und dem Volk mehr Reife, Realitätssinn von den Politikern einzufordern.

Politik im Web 2.0 – Fehlanzeige

Welche Parteien und Spitzenpolitiker nutzen das Web für sich? Das ist die Fragestellung der Kurzstudie „Politik im Web 2.0“ von newthinking communications GmbH.

Barack Obama führt einen intensiven Wahlkampf im Internet. Natürlich geht es dabei unter anderem auch um Spendengenerierung, und das unterscheidet die Situation in den USA von der Situation in Deutschland, aber der Wahlkampf des Präsidentschaftskandidaten wurde in Deutschland doch sehr aufmerksam verfolgt und es kann niemandem entgangen sein, dass Obama eine Kommunikationsstrategie verfolgt, die stark auf das Internet baut, und dass er damit Erfolg hat. Junge Menschen sind im Internet unterwegs, das ist kein Geheimnis. Da müssten sich hiesige Politiker doch eifrig auf das Thema stürzen, denn nächstes Jahr ist Bundestagswahl.

Weit gefehlt, wie die Studie belegt: Die Präsenz von Politikern im Web 2.0 ist fast nicht existent (schon mal in XING einen Spitzenpolitiker gefunden?), eine Interaktion (Schlüsselmerkmal des Web 2.0) findet nicht statt, von einer internetbezogenen Kommunikationsstrategie kann keine Rede sein.

Spitzenreiterin bei Facebook ist Angela Merkel mit heute 356 Freunden (zum Vergleich: Obama hat 1,1 Millionen). Ihr Profil besteht aus einem (sympathisch wirkenden) Foto, einem aus der Wikipedia kopierten Lebenslauf und 5 Kurzmeldungen – das ist mager. Allerdings macht sie einen gut produzierten Podcast mit wöchentlichen Beiträgen. Kurt Beck ist nicht auf Facebook vertreten (hat keine Freunde?), und die junge Politikergeneration sieht auch nicht besser aus.

Vielleicht geht das aus Sicht der Politiker so: Ich stelle (wenn überhaupt) unattraktive Inhalte ins Netz, und ich biete keine Interaktionsmöglichkeit -> die Menschen sind nicht interessiert -> sage ich doch, Internet und der ganze Web 2.0 Quatsch bringt nichts!

Keine Ahnung, was ein Browser ist, aber PCs zu „neuartigen Empfangsgeräten“ erklären, damit die GEZ abkassieren kann. Da haben wir plötzlich Netz-Fantasie, gell, liebe Politiker?

Beiträge und Stimmen zum Thema:
FTD: Verloren im Web 2.0
Spreeblick: Web 2.0 – Politikfrei?
golem.de: Die Politik scheut das Web 2.0
netzpolitik.org: Kurzstudie: Politik im Web 2.0 – Keine Freunde für Kurt Beck