Machtfrage Change

machtfrage-changeTorsten Oltmanns und Daniel Niemeyer wollen in ihrem Buch Machtfrage Change zeigen, „warum Veränderungsprojekte meist auf Führungsebene scheitern und wie Sie es besser machen“.

Ausgangspunkt der Überlegungen der Autoren ist die Feststellung: „Mehr als 80 Prozent aller Change-Management-Projekte scheitern“. Als Beispiele für gescheiterte Change-Projekte dienen Unilever und die Bundeswehr (diese Projekte haben ja auch andere Berater verbockt).

Zu Recht stellen die Autoren die Frage, woran es liegt, dass so viele exzellente Konzepte nicht richtig umgesetzt werden und so viele Veränderungsprojekte scheitern. Studien zum Thema stellen fest, dass Veränderungsprojekte vor allem an diesen Faktoren scheitern:

  • Nicht vorhandene Vision
  • Mangelnde Einbindung der Mitarbeiter
  • Schlechte Kommunikation
  • Unzureichende Mobilisierungswirkung
  • Fehlende Erfolgskontrolle / Monitoring

Das sehen die Autoren ganz anders. Das bisherige Change Management sei „sozialpädagogisch“ vor allem auf die Wirkung in der Breite gerichtet. Es mangele aber nicht an Einbindung der Mitarbeiter, sondern an dem gezielten Einsatz von Macht, um die Veränderung durchzusetzen, und zwar auf der Führungsebene.

Die Autoren meinen, dass der alte Konflikt „oben vs. unten“ (vertikale Konflikte) keine Bedeutung mehr habe, die Mitarbeiter seien kooperativer als früher, auch Betriebsräte machten gerne mit, notfalls drohe man eben mit Jobabbau. Die wahren Konflikte beständen auf oberster Führungsebene (horizontale Konflikte), denn besonders in Zeiten der Veränderung möchten die grundsätzlich egoistischen Manager vor allem ihr eigenes Schäfchen ins Trockene bringen und denken dabei nicht unbedingt an das Wohl des Unternehmens.

Der eigentliche Grund für das Scheitern von Change-Projekten liegt in den Konflikten innerhalb der obersten Führungsebene, so die Kernthese der Autoren. Es gehe im Grunde um Macht, und Macht ist eine Dimension, die von der Betriebswirtschaft konsequent ausgeblendet wird, denn dort spukt ja noch der „homo oeconomicus“. Ich finde es gut, dass die Autoren die Begrenztheit der Betriebswirtschaft für menschliches wirtschaftliches Handeln erkennen. Willkommen in die Welt der Soziologie und Psychologie! Ebenfalls positiv finde ich, dass die Begrenztheit rationaler Begründungen für Change erkannt wird. Und sicher haben die Autoren Recht, wenn sie feststellen, dass die Welt sich seit den 80ern verändert hat. Ein wichtiger Argumentationsbaustein der Autoren: Aufgrund der Globalisierung, der Auflösung der Deutschland AG, und höherer Mobilität der Manager seien Loyalität, Kooperation und langfristiges Denken im Management zurückgegangen. Für Manager sei es unter heutigen Bedingungen rational (da kommt er doch wieder, der homo oeconomicus), die eigenen Ziele zu verwirklichen, auch gegen andere Manager und gegen das Unternehmen.

Nebenbei, ich halte dieses Menschenbild der Autoren für problematisch: Menschen sind egoistische Eigennutzmaximierer, reine Opportunisten. Will man Kooperation oder Veränderung, muss man die Menschen mehr oder weniger dazu zwingen.

Für Change-Prozesse bedeute das: Es geht darum, die Interessengegensätze innerhalb der Führung zu unterdrücken und die Veränderung durchzudrücken. Das geht nur mit Macht, und Macht sei also positiv und funktional, ja unentbehrlich in Veränderungsprozessen. Die Machtausübung geschieht schließlich zum Wohle der Allgemeinheit (Machiavelli läßt grüßen). In diesem Punkt heroisieren sich die Autoren mal gleich als Tabubrecher und Provokateure, denn vor Ihnen sei ja noch niemand auf die Idee gekommen, dass es mit machtvoller Durchsetzung vielleicht einfacher und schneller ginge, Veränderungen umzusetzen. Aber schon vor vielen Jahrzehnten gab es das Führerprinzip, und damals ging es ebenfalls um das Verbindlichmachen einer Weltanschauung und die Implementierung von Change.

Die Lösung scheint einfach: Die alleroberste Führung muss die Veränderung anordnen und durchsetzen, fertig. Sie muss die anderen Führungskrafte dazu zwingen, sich nicht in ihren egoistischen Grabenkämpfen auf Kosten des Unternehmens auszutoben, sondern den Wandel zu unterstützen. Das Motto ist „erzwungene Kooperation“. Gehorsam kann man erzwingen, aber Kooperation? Das scheint mir, wie so einiges in diesem Buch, widersprüchlich.

Wie man Change richtig macht (nach Ansicht der Autoren):

Erste Hauptaufgabe im Change-Prozess: Ein Weltbild definieren und als verbindlich verankern. Denn „die Definition von Wirklichkeiten [bedeutet] für die das Unternehmen ein zentrales Machtinstrument“ (Zitat nicht aus „1984“ von George Orwell, sondern aus „Machtfrage Change“). „Übergeordnetes Ziel der obersten Führungsebene ist demnach, das Weltbild für alle verbindlich zu gestalten und zu implementieren, vertikal und besonders horizontal. Dort lauern die größten Gefahren“. Die Autoren nennen das „Framing“. Leider liefern die Autoren keine Beispiele dafür, so dass dieser Ansatz sehr theoretisch wirkt.

Und so definieren die Autoren Macht:

Die Fähigkeit, das eigene Weltbild und dessen Implikationen als verbindlich in einer Organisation durchzusetzen und gleichzeitig andere Weltbilder ins Abseits zu stellen und damit deren Implikationen zu bekämpfen.

Aber ob man es „Frame“ nennt, oder anders: Bei Veränderungen haben immer einige Entscheider im Unternehmen Angst, etwas zu verlieren und es gibt immer irgendwelche Konflikte. Daher muss eine weitere wichtige Aufgabe hinzukommen.

Zweite Hauptaufgabe im Change-Prozess: Durchsetzung der Veränderung und Brechen jeglichen Widerstandes. Zunächst gilt es, alle Manager danach zu klassifizieren, inwieweit sie den Wandel unterstützen oder dagegen sind. Wie kann man das herausbekommen? Man veranstaltet „symbolische Aktionen“, das sind Meetings, Workshops oder Einzelgespräche. Das Sachthema ist dabei quasi nur  der Titelgeber, in Wirklichkeit geht es darum, die Manager aus der Reserve zu locken und zu prüfen, ob ihr Weltbild kompatibel mit dem Frame ist. Danach geht es zur Gleichschaltung: Mitmachen wird mit Anreizen belohnt und Opposition wird mit Sanktionen bestraft. Konflikte werden nicht ausgetragen, sondern „durch einen raschen und entschlossenen Einsatz von Macht entschieden“.

Die Autoren behaupten, mit ihrem Ansatz von Change wären die Change-Projekte bei Unilever und der Bahn nicht gescheitert. Leider geben Sie nicht ein einziges Beispiel, wo ihr Ansatz tatsächlich so durchgeführt wurde und ursächlich zum Erfolg geführt hat. Daher bleibt trotz trommelnder Machtrhetorik das Ganze seltsam blutleer.

Vielleicht ist das Buch auch als Versuch zu verstehen, den schwarzen Peter zurückzugeben. Entscheider engagieren Berater für Change, Change scheitert, Berater ist schuld. Jetzt geben die Berater den schwarzen Peter zurück: Das Top-Management ist schuld – schwache Führung! Und das ist ja oft auch zutreffend – ich selbst und wohl jeder in Change-Projekten Erfahrene könnte entsprechende Geschichten erzählen. Allerdings, ich habe wohl dennoch ein anderes Verständnis von guter Führung als die Autoren. Und ich kann nicht bestätigen, dass die Machtdimension in Change-Projekten bisher ausgeklammert wird.

Vieles bleibt widersprüchlich und viele Fragen bleiben offen.

  • Warum existiert echte Kooperation im Weltbild der Autoren nicht?
  • Warum haben nur Manager etwas zu verlieren, und andere Mitarbeiter nicht?
  • Wo verläuft die Grenze zwischen Entscheiderkreis und den anderen Managern, die folgen sollen?
  • Ist der Ansatz eines übermächtigen die Kommunikation und die Gedanken kontrollierenden Big Brother in der heutigen Welt der freien Kommunikation überhaupt realistisch?
  • Und wenn er realistisch umzusetzen wäre, ist dieser Ansatz wünschenswert und zielführend?
  • Hat nicht genau das „für alle verbindlich gestaltete Weltbild“ zur Entstehung der Finanz- und Wirtschaftskrise beigetragen?
  • Und warum sollte ausgerechnet derjenige, der sich im Wettkampf unter den Managern bis an die Sitze gekämpft hat, soviel mehr das Allgemeinwohl im Auge haben als die anderen Manager (es sind doch alle egoistische Opportunisten)?

Winston Churchill hat gesagt (und das ist eines meiner Lieblingszitate): „democracy is the worst form of government except all those other forms that have been tried from time to time”. Frei übersetzt: Demokratie ist die schlimmste Regierungsform, aber es gibt keine bessere.

Keine Angst vor hohen Tieren – Höhergestellte erfolgreich beeinflussen

Auch eloquente Leute bekommen manchmal weiche Knie, wenn Sie bei Vorgesetzten oder sonstigen “hohen Tieren” ein eigenes Anliegen, z.B. einen Vorschlag oder eine Forderung, anbringen wollen. Im Prinzip gelten bei der Beeinflussung von Höhergestellten die gleichen Regeln wie bei anderen Menschen auch. Es gibt allerdings einige Dinge, auf die man ganz besonders achten sollte.

Überzeugen: Wenn Sie auf sachlicher Ebene überzeugen wollen, seien Sie direkt und genau. Vorgesetzte mögen Rumlaberei noch viel weniger als andere Menschen. Erwarten Sie nicht, dass Ihre Führungskraft schon von selbst darauf kommt, was Sie wollen. Vermeiden Sie also allgemeine Aussagen, und formulieren Sie spezifisch. Bringen Sie einen Vorschlag ein und begründen Sie diesen mit einigen wenigen guten Argumenten. Führungskräfte sind nur selten daran interessiert, jedes Detail zu kennen. Gehen Sie also nur dann in’s Detail, wenn es einen Wert hat für Ihren Gesprächspartner oder wenn Sie gefragt werden. Dagegen ist es enorm wichtig, eine klare Linie erkennen zu lassen und das Gespräch auf ihr Anliegen zu fokussieren.

Durchsetzen: Wenn Sie ein sehr wichtiges und legitimes Anliegen haben, und mit sachlogischer Argumentation (Überzeugen) haben Sie es bereits mehrfach erfolglos versucht, dann ist Durchsetzen angesagt. Bringen Sie ihr Anliegen entschlossen vor. Sie dürfen hier nicht unsicher wirken, denn das würde Ihre Führungskraft schnell merken. Machen Sie ganz klar, was ihr Anliegen ist. Ein Statement könnte beginnen mit „Ich erwarte, dass …“. Sie können Ihre Aussage erheblich verstärken, wenn Sie Konsequenzen in Aussicht stellen. Denken Sie zum Beispiel daran: Was sind Sie bereit zu geben, wenn die Führungskraft Ihren Wunsch erfüllt? Verfallen Sie während des Gespräches nicht in sachliche Diskussion (das haben Sie ja bereits versucht, die Argumente sind dem Gesprächspartner bekannt).

Oft höre ich in meinen Trainings, dass ein Durchsetzen-Stil gegenüber Höhergestellten nicht möglich sei. Es wird angenommen, dass zum Durchsetzen eine Machtposition nötig ist. Das ist falsch. Nötig ist es vielmehr, den eigenen Wunsch anzuerkennen. Wenn Sie dann feststellen, dass Sie ein wichtiges und legitimes Anliegen haben, dann können Sie dieses gegenüber Höhergestellten selbstsicher vertreten.

Mikropolitik: Ausweitung der Kampfzone

Mikropolitik und Moral in Organisationen. Herausforderung der OrdnungIch erinner’ mich als ich jung und unverdorben aus der Universität in meinen ersten Job als Unternehmensberater kam. Die auswendig gelernten Konzepte wie „Management by Objectives“, Selbstregulation, Teilautonome Arbeitsgruppen oder Qualitätszirkel bestimmten das Prüfungsmaterial und mein Denken: Konzepte, die den Menschen und seine Selbstverantwortung in den Vordergrund stellen. Retrospektiv betrachtet ist man versucht zu sagen, dass stets eine romantische Verklärung hier mitschwebte. Die Einführung und Umsetzung und Aufrechterhaltung solcher Konzepte war nie ein Thema. Es gab nur Listen mit Vor- und Nachteilen, die eben auswendig gelernt werden mussten.

Der einzige Artikel, das einzige Konzept, das sich hier absetzte war der herrlich geschrieben Artikel „Mikropolitik“ von Neuberger (1995). Mikropolitik ist…

das Arsenal jener alltäglichen „kleinen“ Machtmethoden, mit denen innerhalb von Organisationen Macht aufgebaut und eingesetzt wird“

Neuberger hat sich mal angeschaut, was passiert wirklich in Organisationen, welche Machtspiele finden statt und wessen Interessen werden vertreten. Zielsetzungen von mikropolitischen Maßnahmen sind Aufstieg, die Erweiterung der Handlungsspielräume, höhere Budgets oder mehr Bezahlung. Maßnahmen selbst sind Filtern von Informationen, Vetternwirtschaft, das Ausnutzen des Bürokratismus, die Selbstdarstellung oder das gezielte Einschalten von Vorgesetzten.

Im Gegensatz zu pseudopopulärwissenschaftlicher Literatur bettet Neuberger die mikropolitischen Vorgehensweisen in ein umfassendes Handlungsmodell ein und thematisiert den Umgang mit Moral. Angebotene Gegenstrategien sind die Offenlegung von Entscheidungswegen und das offene Austragen von Konflikten.

Hier wären wir wieder bei dem Doing, der tatsächlichen Umsetzung. Wie trage ich Konflikte aus, damit ich einerseits die Arbeitsbeziehung nicht schwäche, aber trotzdem mein Arbeitsziel erreiche.

Und damit sind wir wieder am Anfang. Das tatsächliche Machen in Unternehmen, Ziele vorantreiben, Beziehungen aufbauen, wie das geht, das findet man nicht in den abstrakten Konzepten der reinen Lehre.

Laterale Führung – wenn Anordnen nicht mehr funktioniert

Früher, da war immer klar, wer der Boss ist. Und der Boss hatte das Sagen. Wenn ein Mitarbeiter nachfragte „Warum?“, dann konnte er auch gerne die Antwort erhalten „Weil ich es so will!“. So funktionieren Unternehmen heute nicht mehr, jedenfalls immer weniger. Die Hierarchie als der alles bestimmende Faktor für die Organisation hat ausgedient. Die Hierarchien werden erstens immer flacher und zweitens auch noch durch die Matrixorganisation oder die Projektorganisation aufgeweicht. Das stellt sowohl die Führungskräfte als auch die Mitarbeiter vor neue Herausforderungen. Führungskräfte können sich nicht mehr allein auf ihre Position berufen. Und Mitarbeiter sind nicht mehr nur einem einzigen Vorgesetzten verpflichtet, sondern je nach Aufgabe und Projekt mehreren Stellen.

Group Discussion by eschipul (cc)Die klassische Rolle des Vorgesetzten ist ein Auslaufmodell (allein dieses Wort ist ein Anachronismus: Der Vor-Gesetzte). Die Führungsaufgabe aber bleibt. Und die Führungskraft wird als Mensch mit besonderer Verantwortung im Unternehmen sogar noch wichtiger als früher. Denn das Führen hin zu unternehmerischen Ergebnissen ist essentiell, auch wenn die Hierachie verschwimmt oder verschwindet. Nur funktioniert Führung anders als früher, eher „seitlich“ orientiert oder sogar von unten. Das nennt man dann laterale Führung (lateral: lateinisch für seitlich): „Managen ohne Weisungsbefugnis“ (so der Titel des Artikels in managerSeminare März 2007, Seite 34-40). Das ist eine Situation, in der sich Projektleiter schon lange befinden. Doch im Zuge der neuen Entwicklungen werden auch die Führungskräfte in der sogenannten Linienorganisation immer mehr zu Projektleitern. Auch die „Führungsspanne“ ist nicht mehr stabil, sondern die Menschen, mit denen man zusammenarbeitet, ändern sich.

Und da wird es sehr spannend, finde ich. Es reicht nicht mehr, einfach Anordnungen zu geben. Wenn man sich nicht auf Macht berufen kann, muss man auf geschicktere Weise Einfluss nehmen. Laterale Führung erfordert ganz andere Fertigkeiten. Führungskräfte müssen andere von ihren Ideen und Vorschlägen überzeugen, mit gut platzierten Argumenten. Verständnis wecken, Akzeptanz schaffen. Führungskräfte müssen ein Team zusammen halten und Orientierung geben, zum Beispiel für eine große Aufgabe motivieren. Führungskräfte müssen offen sein für die Ideen und das Know-How anderer. Zwischen Hierarchien und Abteilungen vermitteln. Führungskräfte müssen andere einbinden, auch Menschen mit völlig anderen professionellen Hintergrund, auch Kunden und Lieferanten. Win-Win-Ergebnisse herbeiführen. Das erfordert Empathie und kommunikatorisches Geschick. Und bei alldem müssen Führungskräfte glaubwürdig und integer sein, das ist keineswegs eine Selbstverständlichkeit.

Kurzum, hier sind ganz andere und vielfältigere kommunikative Fertigkeiten gefragt: Überzeugen, Brücken bauen, begeistern. Wer diese Soft Skills situationsgerecht einsetzen kann, dem gehört die Zukunft.