Gestern bekam ich über das soziale Netzwerk XING eine Kontaktanfrage von einer mir unbekannten Person. Soweit nichts Ungewöhnliches. Doch der Text machte mich etwas stutzig:
ich freue mich, wenn Sie mich in Ihr Netzwerk aufnehmen, weil ich Sie sehr gerne zu meinen Kontakten zählen würde.
Fällt Ihnen etwas auf? Die Begründung ist tautologisch (dasselbe sagend). Ausgedrückter Wunsch und Begründung für den Wunsch sind identisch. Wir sollten uns über XING verknüpfen, weil wir dann über XING verknüpft sind.
Das erinnert mich an das Experiment von Langer et al. (1978, geschildert auch in dem Buch „Die Psychologie des Überzeugens“ von Cialdini, ich habe zu den darin geschilderten Einflussnahme-Strategien bereits einen Blogbeitrag geschrieben: „Die psychologischen Tricks der Werbung„). In dem Experiment kommt sehr schön unsere Neigung zum Ausdruck, Begründungen zu erwarten und auf Begründungen zu reagieren. Wenn wir etwas tun sollen, dann möchten wir gerne einen Grund dafür haben. Wenn wir eine Bitte an andere richten, dann sind wir erfolgreicher, wenn wir die Bitte begründen.
Die Sozialpsychologin Ellen Langer und ihre Mitarbeiter haben haben in ihrem Experiment 3 Varianten getestet, um in einer Schlange vor dem Fotokopierer einer Uni vorgelassen zu werden. Variante 1: „Entschuldigung, ich habe 5 Seiten. Könnten Sie mich bitte vorlassen, weil ich es sehr eilig habe.“ Die Erfolgsquote lag bei 94%. Variante 2: „Entschuldigung, ich habe 5 Seiten. Könnten Sie mich bitte vorlassen?“ Die Erfolgsquote lag bei 60%, also deutlich unter der von Variante 1. Begründungen wirken, das war bereits vorher bekannt.
Das Experiment hatte jedoch noch eine weitere Variante. Variante 3: „Entschuldigung, ich habe 5 Seiten. Können Sie mich bitte vorlassen, weil ich Kopien machen muss.“ Was meinen Sie, wie hoch lag die Erfolgsquote? Wenn ich im Einflussnahme-Training die Teilnehmer frage, liegen die Schätzungen in aller Regel unter Variante zwei, also bei weniger als 60%, oft sehr viel weniger, manchmal nahe null.
Überraschenderweise lag die Erfolgsquote von Variante 3 (tautologische Begründung) jedoch bei 93%. Es kommt demnach also gar nicht auf eine stichhaltige Begründung an, sondern wir reagieren eher mechanisch auf das Wort „weil„. Wenn wir analytisch und kritisch die Aussagen ansehen, dann fällt uns auf, dass derjenige, der um den Gefallen bittet, keine neuen Informationen liefert und nur das Offensichtliche bestätigt. Aber wenn die Aufmerksamkeit nicht geweckt ist, reagieren wir automatisch.
Diesen Mechanismus scheint sich der Kontaktanfrage-Schreiber zunutze machen zu wollen. Bräsig, dumpf, anderweitig beschäftigt vor dem PC sitzend, nur noch das „weil“ wahrnehmend, was eine Begründung suggeriert, klicken wir einfach auf „Kontaktanfrage bestätigen“. Vielleicht hat der Kontaktanfrage-Schreiber sich keine Gedanken gemacht, vielleicht hat er über das Langer-Experiment gelesen, vielleicht ist das Ganze sogar ein eigenes Experiment?
Ich habe die Kontaktanfrage nicht bestätigt. Falls Sie mich in Ihr XING-Netzwerk aufnehmen möchten, gerne. Klicken Sie einfach auf das XING-Logo. Bitte mit Begründung, weil ich gerne eine Erklärung hätte. 😉