Professionelle Intelligenz

Fachwissen wird immer unbedeutender, denn Wissen kann man sich im Internet holen und Verfahren sind klar beschrieben. Wahre professionelle Intelligenz ist mehr als der klassische IQ, nämlich Kreativität, Handlungsfreude, kommunizieren können, mit Menschen umgehen können. Das Problem: Wir haben zu wenig professionelle Intelligenz, zu wenig professionell intelligente Menschen. Früher war das nicht so ein großes Problem, viele Menschen konnten Arbeit finden in Bereichen, wo es nicht darauf ankam. Heute, in der Wissensgesellschaft, haben sich die Arbeitsbedingungen und -anforderungem  grundlegend geändert. Wir brauchen also dringend mehr professionelle Intelligenz!

Das ist die Hauptbotschaft des Buches „Professionelle Intelligenz – Worauf es morgen ankommt“ von Gunter Dueck. Dueck (*1951) ist Philosoph, Mathematikprofessor und Chief Technology Officer bei IBM Deutschland. Seit vielen Jahren beginne ich viele meiner Soft Skills Trainingsprogramme mit einer Hauptbotschaft, die ganz ähnlich klingt. Ich bin fest davon überzeugt, dass Soft Skills („Intelligenzen“) für Professionals und für erfolgreiches Agieren in Organisationen extrem wichtig sind und immer wichtiger werden. Daher habe ich dieses Buch von Dueck gelesen.

Was ist „Professionelle Intelligenz“? Nach Dueck ist Professionelle Intelligenz ein ganzes Bündel von Intelligenzen (inspiriert vom Modell der multiplen Intelligenzen nach Howard Gardner):

IQ – Intelligenz des Verstands: für Methoden, Planung, Controlling, Verwaltung
EQ – Emotionale Intelligenz: für Kommunikation, Zusammenarbeit, Motivation
VQ – Vitale Intelligenz des Handelns: für Führung, Durchsetzungsvermögen
AQ – Intelligenz der Sinnlichkeit, Sinn für Attraktion: für Marketing, Werbung, Verkauf
CQ – Kreative Intelligenz: für Kunst, Forschung, Technologie, Innovation
MQ – „Sinn für Sinn“ (was ist „meaningful“?)

Professionelle Intelligenz ist „je nach Beruf eine jeweils andere harmonische Komposition dieser Einzelintelligenzen“. „Wissen im Kopf reicht nicht mehr zur Exzellenz. In der Zukunft wird immer stärker von uns verlangt, dass wir wirksam sind. Wir müssen vernetzt in mehreren Projekten arbeiten, mit vielen Menschen kommunizieren und gut ankommen, wir müssen führen, beeinflussen, begeistern“.

Das ist keine Frage, ob wir das so wollen oder nicht, es ist eine Notwendigkeit. Denn die Zeiten ändern sich. Immer mehr Aufgaben werden von Maschinen erledigt, immer mehr Prozesse werden von Computern und Software gesteuert. Die Menschen dagegen kümmern sich um Innovation, Problemlösungen, Individualisierungen und die Arbeit am System selbst. Auch die Organisation der Arbeit ändert sich, weg von der alten Hierarchie hin zur Matrix- oder Projektorganisation, zur Arbeit in Netzwerken. Damit werden die Anforderungen an professionelles Handeln viel höher.

Die Wertschöpfung durch Arbeit trennt sich in gewöhnliche Standards (Commodity) und das Besondere (Premium). Der Trend in hochentwickelten (ehemaligen?) Industrienationen geht weg von der industriellen Massenproduktion hin zur individualisierten, wissens- und kommunikationsintensiven Erbringung von komplexen Leistungen. In dieser neuen Welt ist für unprofessionelle Charaktere kein Platz mehr. Unfrofessionelle können ein tiefes Fachwissen haben, aber ihnen fehlt die breite Aufstellung, auch kommunizieren zu können und Menschen zu bewegen.

Nach Dueck gibt es in Zukunft zwei Arten von erfolgreichen Professionals:

  • Die „Keystone Personality“. Diese entwickelt die Systeme, in denen die Wertschöpfung erbracht wird.
  • Der „T-Shape-Spezialist“: Dieser hat ein tiefes Wissen in seinem Gebiet und eine breite Vernetzung (daher T-Shape: Der Buchstabe T symbolisiert Tiefe und Breite). Ein T-Shape-Spezialist ist zum Beispiel nicht nur gut im Kreieren, sondern auch im Verkaufen seiner Ideen.
  • Hingegen: „Ehrgeizige Ellenbogenmenschen brauchen wir nicht mehr.“

Dueck listet auf, welche Merkmale die Employability (Beschäftigungsfähigkeit) beeinflussen: Teamfähigkeit, Konfliktfähigkeit, Lernfähigkeit, Fähigkeit zur Selbstreflektion usw. Das sei jedoch nur eine „rituell vorgetragene Wunschliste“ – wir scheinen zu erwarten, dass sich diese Fähigkeiten automatisch, ohne Bildung und ohne Training, entwickeln. Das ist natürlich nicht der Fall. Der große Widerspruch: Die Unternehmen und die Gesellschaft erwarten multipel intelligente Professionals, tun jedoch nichts dafür. Alle konzentrieren sich auf den klassischen IQ, der immer weniger gebraucht wird.

Da unser Bildungssystem keine Professionalität bildet, also versagt, spielt das Elternhaus eine große Rolle. „DAS ist die Ursache für die Schere zwischen dem Prekariat und der künftigen Mittelschicht“. Das sehe ich auch so, konnte ich schon in der Schule (und das ist verdammt lang her) gut beobachten: Der Rechtsanwaltssohn wurde von den Eltern regelrecht gecoacht. Die Landwirtstochter wurde entmutigt oder bestenfalls allein gelassen.

So wichtig die Hauptbotschaft von Dueck ist – ich habe auch etwas an diesem Buch auszusetzen:

  • Einerseits wirft Dueck den Intelligenzforschern vor, den Begriff der Intelligenz nicht einheitlich zu definieren, andererseits definiert er selbst nicht seine Intelligenzen, sondern schwadroniert. Mal werden seine Intelligenzen eher als angeborene Talente, mal eher als erworbene Soft Skills dargestellt.
  • Dueck stellt McGregors XY-Theorie dar, kritisiert daran, dass Theorie Y „heilige sendungsbewusste Gutmenschen“ annehme (Zweifel am positiven Menschenbild), und setzt dann seine eigene „Theorie P“ dagegen, die inhaltlich der Theorie Y entspricht, doch diese Theorie P sei jetzt plötzlich ein „sinnvolles Ideal“. Also was nun, ist es ein Menschenbild oder ein anzustrebendes Ideal? Zu allem Überfluss deutet er an, sein „neues“ Menschenbild könne die bisherige Religion ersetzen und kommt mit dem Heilsversprechen einer „Welt allgemeiner Prosperität“ (innerhalb seiner Definition der Theorie P). Was soll das?
  • Dueck stellt das Problem dar, liefert aber keine Lösungen, ausser der Idee, das Bildungssystem zu verändern.

Konkrete Vorschläge für den Leser muss man mit der Lupe suchen:

  • Machen Sie einen klassischen Intelligenztest und einen Test der emotionalen Intelligenz.
  • Lesen Sie die eigene Bewerbung aus Sicht des Arbeitgebers (da sind Sie nicht darauf gekommen, was?).
  • Suchen Sie sich Mentoren. Mentoren sind erfahrene Mitarbeiter, mit denen man sich abseits der Führungsstruktur austauschen kann, und die den Mentee fürsorglich begleiten können.

Das war’s auch schon. Im Grunde geht Dueck davon aus, dass für den einzelnen sowieso Hopfen und Malz verloren sind und man nicht viel machen kann. Das sehe ich als Trainer von Soft Skills Trainings anders.

Seine eigentliche Lösungsidee besteht darin, das Bildungssystem zu ändern, damit wenigstens unsere Kinder es besser haben. Einerseits sollten wir „Tests für alle möglichen Teilintelligenzen und insgesamt für die Professionelle Intelligenz entwickeln und viele Kinder in deren Lebensverlauf testen“. Dueck sieht das vor allem als Mittel der Aufmerksamkeitslenkung (also doch: What gets measured, gets done). Und zum anderen sollten wir voll und ganz auf das Internet setzen. Wir sollten eine Welt erschaffen, „in der die digitalen Technologien zur vollen Blüte gebracht werden. Da liegen natürlich die ungehobenen Schätze der Zukunft – wo sonst?“. „Der Computer hat immer Zeit für mich“, „der Computer geht auf mich ein“ (alle Zitate aus dem Buch). Doch wie soll man emotionale Intelligenz, Konfliktfähigkeit oder die Fähigkeit zu begeistern durch den Computer erwerben? Geht nicht, daher ist das Internet eher der Ersatz für den klassischen Frontalunterricht, und für die Bildung der Professionalität müssen hinzukommen: Übungen, Training, Coaching und Feedback. Das kann ich nur unterschreiben.

Authentizität – Worte, Werte, Entwicklung

Was verbinden wir mit dem Begriff Authentizität? Nachdem der vorangehende Beitrag die Wahrnehmung und den Wahrnehmungscharakter der Authentizität in den Mittelpunkt stellte, geht es in diesem Beitrag um Worte und Werte. Und Entwicklung.

Das hier vorgestellte Wertequadrat soll noch mehr Klarheit schaffen. Das Wertequadrat ist ein gedankliches Werkzeug, das Paul Helwig (1967) entwickelte und Friedemann Schulz von Thun als Entwicklungsquadrat für die Persönlichkeitsentwicklung nutzbar machte (Miteinander Reden, Band 2, Kapitel II 3).

Die Grundannahme des Wertequadrates ist (Schulz von Thun, ebd.):

Um den dialektisch strukturierten Daseinsanforderungen zu entsprechen, kann jeder Wert (jede Tugend, jedes Leitprinzip, jedes Persönlichkeitsmerkmal) nur dann zu einer konstruktiven Wirkung gelangen, wenn er sich in ausgehaltener Spannung zu einem positiven Gegenwert, einer „Schwestertugend“, befindet.

Werte und Maßstäbe sollen in einer dynamischen Balance gehalten werden. Ohne die Balance verkommt ein positiver Werte zu seiner entwertenden Übertreibung.

Ein Beispiel: Sparsamkeit und Großzügigkeit sind positive Werte, die in Balance zu halten sind. Völlig übertriebene Sparsamkeit ist Geiz (die entsprechende übertreibende Entwertung). Völlig übertriebene Großzügigkeit ist Verschwendung (die entsprechende übertreibende Entwertung).

Das Werkzeug des Wertequadrates wende ich hier an auf das Thema „Authentizität“ (ähnlich bereits von Schulz von Thun dargestellt als Wahrhaftigkeit vs. Wirkungsbewusstsein):

Authentizität Wertequadrat

Sich geben wie man sich fühlt“ können wir assoziieren mit:

  • Eigene Befindlichkeit frei äußern
  • Für sich selbst einstehen
  • Offen und ehrlich kommunizieren

Situationsbewusst und rollengerecht handeln“ können wir assoziieren mit:

  • Beachten wie man auf andere wirkt, Rücksicht nehmen, höflich sein
  • Ziele und Aufgaben beachten, kooperieren
  • Diplomatisches Geschick an den Tag legen

Die orangenen Felder repräsentieren die entwertende Übertreibung der darüber stehenden grünen Felder. Das Feld „Unbeherrschtheit“ können wir assoziieren mit:

  • Rücksichtslos sein, schonungslos offen sein
  • Ungefiltert alles „rauslassen“
  • Egoistisch sein, sich nicht von anderen beeinflussen lassen

Das Feld „Verstellung“ können wir assoziieren mit:

  • Sich verbiegen, nur den Erwartungen der anderen entsprechen wollen
  • Anderen etwas vormachen, schauspielern, sich inszenieren
  • Hinterlistigkeit, Verschlagenheit

Die grünen Felder repräsentieren das positive Spannungsverhältnis, in dem eine Balance wünschenswert ist zwischen „sich geben wie man sich fühlt“ und „situationsbewusst und rollengerecht handeln“. Nicht das nur eine oder nur das andere sollte angestrebt werden, sondern die Balance bzw. die Integration beider Werte (man denke auch an das Spannungsverhältnis Ehrlichkeit vs. Respekt). Wir Menschen haben ein ganzes Arsenal an Kulturtechniken entwickelt, um Authentizität zu regulieren.

Wir wollen mit uns selbst in Einklang stehen (dazu braucht es Selbsterkenntnis). Wir können aber nicht ausschließlich aus uns selbst heraus agieren, sondern sollten die Situation und auch Erwartungen von anderen Menschen „mitfühlen“ (dazu braucht es Empathie und/oder Verstehen). Sich situationsangemessen und rollengerecht zu verhalten ist das Fundament eines friedlichen und kooperativen Zusammenlebens. Damit  werden wir nicht unauthentisch. Doch wenn eine übertreibende Entwertung in Richtung der Unbeherrschtheit oder der ständigen Verstellung stattfindet, sehe ich ein Problem.

Als Titel für das Wertequadrat schlage ich vor: „Authentizität“. Innerhalb des Wertequadrates möchte ich den Begriff „Authentizität“ dabei vermeiden. Ich möchte dazu anregen, zukünftig mit der Verwendung des Begriffes „authentisch“ genauer zu spezifizieren, wo in diesem Wertequadrat der Sprecher sein Verständnis von „Authentizität“ ansiedelt. Wofür genau tritt der Sprecher ein, wogegen wendet er sich genau? Welche Art von Balance hält der Sprecher für wünschenswert? Damit bekommen wir die Klarheit die wir benötigen, um über das Thema Authentizität zu kommunizieren. Ebenso können wir mit dem Wertequadrat konfrontative Statements und Diskussionen durchschauen.

Ich erwähnte, dass Schulz von Thun das Wertequadrat als Entwicklungsquadrat nutzbar macht. Der Begriff „Entwicklungsquadrat“ soll verdeutlichen, dass aus dem Wertequadrat Entwicklungsrichtungen herauszulesen sind – je nachdem, wo man sich selbst in dem Wertequadrat ansiedelt. Wenn zum Beispiel ein Mensch der Meinung ist „ich bin sehr direkt und offen, habe jedoch festgestellt, dass andere sich häufig verletzt fühlen und sich zurückziehen“, dann könnte er als Entwicklungsrichtung für sich wünschen, diplomatischer aufzutreten (Entwicklungsrichtung von links unten nach rechts oben). Wenn ein Mensch der Meinung ist „ich bin so sehr auf die Anerkennung von anderen aus, dass ich mich selbst verleugne“, dann könnte er als Entwicklungsrichtung für sich wünschen, mehr die eigenen Bedürfnissen zu erforschen und danach zu handeln – egal, was die anderen darüber denken (Entwicklungsrichtung von rechts unten nach links oben).

Ich halte das hier vorgestellte Wertequadrat für sehr gut brauchbar, doch ein Wertequadrat ist niemals objektiv absolut richtig. Daher eröffne ich hiermit die Diskussion: Was halten Sie von dem hier dargestellten Wertequadrat? Welche Anregungen geben Sie?

  1. Teil: Authentizität – eine Bestandsaufnahme
  2. Teil: Authentizität – eine Wahrnehmung
  3. Teil: Authentizität – Worte, Werte, Entwicklung

Groupthink kills – wie Gruppendenken zu schlechten Entscheidungen führt

Teamentscheidungen sind in der Regel besser als die Entscheidungen der einzelnen Teammitglieder. Und in heutigen Organisationen geht nichts ohne Teamarbeit. Aber Teamprozesse können ihre Tücken haben, und das widerum ist ein Grund dafür, dass Meetings nicht überall ein gutes Image haben. Eine dieser Tücken ist Groupthink bzw. Gruppendenken. Gruppendenken ist ein Phänomen der Gruppendynamik, das auftreten kann, wenn eine Gruppe Entscheidungen trifft oder Lösungen erarbeitet.

Der Begriff „Groupthink“ stammt von dem Psychologen Irving Janis (er arbeitete an der Yale University und der University of California, Berkeley). Janis fragte sich, warum Gruppen mit an sich kompetenten und intelligenten Mitgliedern manchmal schlechte und desaströse Entscheidungen treffen. Er entwickelte die Groupthink Theorie, die beschreibt, wie eine Gruppe auf eine systematische Art und Weise Fehler macht bei der Entscheidungsfindung. Die Theorie ist auch außerhalb der Scientific Community bekannt geworden, da einige der auf Groupthink zurückgeführten Entscheidungen katastrophale Auswirkungen hatten.

Was ist Groupthink?

Groupthink ist ein bestimmter Denkmodus von Menschen in einer Gruppe (Team, Meeting, Workshop, Konferenz, Ausschuss). Beim Gruppendenken versucht die Gruppe, Konflikte nicht aufkommen zu lassen oder zu minimieren, und einen Konsens zu erreichen, jedoch ohne Ideen angemessen kritisch zu bewerten, zu analysieren und zu testen. Individuelle Sichtweisen und die individuelle Kreativität geht verloren, Querdenken ist unerwünscht. Dabei ist es nicht etwa so, dass die Gruppenmitglieder sich unter Zwang fühlen – sie fühlen sich vielmehr der Gruppe sehr verbunden und vermeiden es von vornherein, in eine Konfliktsituation zu geraten. Die Harmonie der Gruppe wird als wichtiger empfunden als die realistische Einschätzung der Situation. Das Resultat kann dann sein: Eine Gruppe von klugen Menschen trifft dumme Entscheidungen.

Wann kann Groupthink auftreten?

Folgende Faktoren können eine Rolle spielen (nach Irving Janis und Clark McCauley):

  • Der Gruppenzusammenhalt ist sehr hoch (das „Wir-Gefühl“ ist sehr stark ausgeprägt).
  • Die Gruppe ist isoliert von anderen, insbesondere von konträren Meinungen.
  • Es werden keine systematischen Methoden angewendet.
  • Die Gruppenmitglieder sind homogen zusammengesetzt (z.B. gleiche soziale Herkunft, gleiche politische Ansichten, gleiches Alter etc.).
  • Die Gruppe wird von einem „starken“ Leiter geführt (direktiver Führungsstil).

Der erste Punkt ist wichtig, produziert allerdings für sich genommen noch kein Groupthink. Wenn jedoch ein zweites Merkmal hinzukommt, wird die Sache heikel. Und im letzten der hier genannten Punkte zeigt sich die besondere Bedeutung und besondere Verantwortung der Leiter oder Führungskräfte.

Was sind die Symptome von Groupthink?

Um Groupthink erkennen zu können, hat Janis eine Liste von acht typischen Symptomen erstellt:

  1. Illusion der Unverwundbarkeit: Es gibt einen überbordenden Optimismus, auch extreme Risiken werden akzeptiert.
  2. Rationalisierung von Warnsignalen: Was der Gruppenmeinung widerspricht, wird versucht, „passend“ zu interpretieren oder zu verharmlosen.
  3. Unerschütterlicher Glaube: Die Gruppe ist anderen moralisch überlegen, die Ziele der Gruppe sind automatisch richtig.
  4. Stereotypisierung von Andersdenkenden: Wer anderer Meinung ist, ist boshaft, schwach, blind, arrogant, voreingenommen oder dumm. Janis: “soft-headed groups are often hard-hearted when it comes to dealing with outgroups or enemies”.
  5. Druckausübung auf Abweichler: Wer die Meinung der Gruppe anzweifelt, dem wird Illoyalität unterstellt und der wird auf Linie gebracht.
  6. Selbstzensur: Gruppenmitglieder äußern abweichende Ideen oder gar Kritik an der herrschenden Mening nur andeutungsweise oder gar  nicht.
  7. Illusion der Einstimmigkeit: Alle Signale werden als Bestätigung der Gruppenmeinung interpretiert, Schweigen gilt als Zustimmung.
  8. Mindguards: Selbsternannte Meinungswächter schirmen die Gruppe ab von Menschen oder Informationen, die in eine andere Richtung deuten.

Ich habe das erlebt, und es war ein Fall wie aus dem Lehrbuch. Nur wer in dieselbe Richtung denkt, gehört zur in-group. Wer anders denkt, wird ausgegrenzt und gehört zur out-group. Das Verrückte am Groupthink ist, dass alle Gruppenmitglieder sich sehr wohl fühlen in der Gruppe und mit den Gruppen-Entscheidungen: „We are the Champions!“

Was sind negative Konsequenzen von Groupthink?

  1. Alternativen werden nicht oder unzureichend berücksichtigt.
  2. Ziele sind unvollständig.
  3. Risiken werden falsch eingeschätzt.
  4. Einmal getroffene Entscheidungen werden nicht mehr hinterfragt.
  5. Externe Experten werden nicht hinzugezogen.
  6. Es werden nicht relevante Informationen gesucht, sondern nur „passende“.
  7. Es gibt keinen Plan B.

Dem Groupthink-Phänomen wird unter anderen bei folgenden Ereignissen eine entscheidende Rolle zugeschrieben:

  • Das Schweinebucht-Fiasko (1961): Exilkubaner wollten mit Unterstützung der USA in Kuba landen und die revolutionäre Regierung Castros stürzen. Geplant hatte das Unternehmen die CIA. Die Invasion Kubas scheiterte vollständig. Es zeigte sich, dass die Annahmen und Planungen der CIA völlig unrealistisch waren.
  • Die Eskalation des Vietnam-Krieges: Der inszenzierte Tonkin-Zwischenfall als Rechtfertigung für ein Eingreifen der USA (1964), Bombardierung Nordvietnams und Landung von Kampftruppen (1965), Eingreifen der UdSSR und VR China, Ausweitung der Bombardierungen auf Kambodscha und Laos (1970). Der Krieg endete 1975 mit dem Sieg der nordvietnamesischen Truppen. Falsche Entscheidungen führten dazu, dass 3 Millionen Menschen getötet wurden.
  • Das Challenger-Unglück (1986): Die Raumfähre Challenger explodiert beim Start, alle 7 Besatzungsmitglieder sterben. Ursache für das Unglück war ein Dichtungsring, von dem bekannt war, dass er ein Risiko darstellt. Dennoch wurde für den Start entschieden. (Das Challenger Unglück – und was das mit Kommunikation zu tun hat)
  • Die Katastrophe von Tschernobyl (1986): Die Reaktorkatastrophe nahe Prypjat in der heutigen Ukraine (damals UdSSR) war die bis heute schwerste nukleare Havarie und eine der schlimmsten Umweltkatastrophen aller Zeiten. Reason (1987) stellt dar, dass Groupthink dort eine Rolle spielte. Gerade diese Katastrophe förderte die Perspektivenverschiebung von der rein technisch orientierten Sicht hin zur Betonung der Rolle des Menschen und psychologischer Faktoren (human factors).
  • Der Irakkrieg (2003): Beschrieben im Buch „Der Weg zum Irak-Krieg – ‚Groupthink‘ und die Entscheidungsprozesse der Bush-Regierung“ von Friederike Kuntz.
  • Der Zusammenbruch der britischen Northern Rock Bank (2007): Das Geschäftsmodell von Northern Rock beruhte auf dem Kredithandel und beinhaltete extrem hohe Risiken. Aufgrund der Subprime-Krise geriet die Bank in eine Liquiditätskrise. Es fehlte plötzlich so viel Geld, dass nur noch der Staat einspringen konnte – die Bank wurde 2008 verstaatlicht.

Robert S. Baron stellte 2005 nach einer Auswertung von jüngeren Studien zum Thema fest, dass das Groupthink-Phänomen sogar noch viel weiter verbreitet ist als Irving Janis annahm. Groupthink ist alltäglich und allgegenwärtig.

Lesen Sie in der Fortsetzung, wie Sie Groupthink verhindern können:

Teil 1 (mit Ideen von Irving Janis): Groupthink verhindern
Teil 2 (mit Ideen von Gerald Petersen): Effektiv in Gruppen arbeiten – Groupthink vermeiden

Sachbezogenes Verhandeln

Hart oder weich verhandeln? Das war die Frage des letzten Beitrags. Die Antwort lautet „weder noch“. Ändern Sie die Regeln. Die Autoren des Harvard-Konzeptes sprechen von sachbezogenem Verhandeln oder Verhandeln nach Sachlage (principled negotiation / negotiation on the merits). Das ist eine „unter allen Umständen anwendbare, offene und ehrliche Verhandlungsmethode“ (Zitat aus Das Harvard-Konzept).

Einige Aspekte im Vergleich:

Weich Hart Sachbezogen
Verhandlungsteilnehmer = Freunde Verhandlungsteilnehmer = Gegner Verhandlungsteilnehmer = Problemlöser
Ziel = Übereinkunft Ziel = Sieg Ziel = vernünftiges, effizient und gütlich erreichtes Ergebnis
Vertrauen Misstrauen unabhängig von Vertrauen oder Misstrauen vorgehen
Konzessionen zur Verbesserung der Beziehung Konzessionen als Voraussetzung für die Beziehung Menschen und Probleme getrennt behandeln
Entgegenkommen Beharren auf der eigenen Position Konzentration auf Interessen (nicht Positionen)
Druck nachgeben Druck ausüben Vernunft anwenden und sachlich argumentieren

Das sachbezogene Verhandeln hat vier Grundprinzipien:

1. Menschen und Probleme getrennt voneinander behandeln!

2. Nicht Positionen, sondern Interessen in den Mittelpunkt stellen!

3. Vor der Entscheidung verschiedene Wahlmöglichkeiten entwickeln!

4. Das Ergebnis auf objektiven Entscheidungsprinzipien aufbauen!

Die Methode des sachbezogenen Verhandelns ist der Weg zu einer klugen, effizienten und gütlichen Einigung. Da die grundlegenden Interessen der Verhandlungspartner mit in die Verhandlung einbezogen werden, und gemeinsame Kriterien für die Entscheidung herausgearbeitet werden, lässt sich eine vernünftige Übereinkunft erreichen. Da die Teilnehmer sich nicht die ganze Zeit mit Grabenkämpfen und Feilschen um Positionen beschäftigen, lässt sich die Lösung auf eine effiziente Art und Weise finden. Und da Menschen und Probleme getrennt voneinander behandelt werden, wobei der Mensch auch als Mensch ernst genommen wird, kann eine gütliche Einigung erzielt werden.

Die Beiträge dieser Serie im Überblick:

Verhandeln oder feilschen?
Hart verhandeln oder weich verhandeln?
Sachbezogenes Verhandeln
Beim Verhandeln Menschen und Probleme trennen
Beim Verhandeln auf Bedürfnisse konzentrieren
Beim Verhandeln objektive Kriterien anwenden
Kritik am Harvard-Konzept