Das Harvard-Konzept ist sehr mächtig und auch bei „schwierigen“ Fällen anwendbar. Die wichtigsten Prinzipien des Harvard-Konzeptes habe ich in den vorangegangenen Beiträgen dargestellt. Dennoch habe ich einige Kritikpunkte:
1. Das Harvard-Konzept betont, dass die Beziehung sehr wichtig ist. Vollkommen richtig, aber ich habe den Eindruck, hier wird etwas als „neue“ Erkenntnis verkauft, was bereits lange vorher von Forschern formuliert und von Praktikern umgesetzt wurde. Beispielsweise haben die richtungsweisenden Forschungen von Blake & Mouton gezeigt, dass Ergebnisorientierung und Menschenorientierung in der Führung sich nicht ausschließen, sondern gleichzeitig (ohne eine Dimension zu vernachlässigen) praktiziert werden können. Und das Trainingsprogramm „Positiv Beeinflussen“ wendet diese Philosophie sehr erfolgreich auf die Kommunikation bzw. Beeinflussung allgemein an: Ziele erreichen bei gleichzeitiger Stärkung der Beziehung.
2. Das Harvard-Konzept behauptet, im Verhandlungsprozess gäbe es keine Phasen. Das entspricht nicht meiner Erfahrung. In Verhandlungen beobachte ich sehr wohl, dass der Prozess bestimmte Phasen durchläuft. Diese Phasen sind wiederkehrend, unterscheidbar, und gestaltbar. Im Trainingsprogramm „Konstruktiv Verhandeln“ werden diese Phasen dargestellt, und mit konkreten Aufgaben sowie kommunikativen Taktiken verknüpft, um in jeder Phase angemessen und erfolgversprechend zu agieren.
3. Das Harvard-Konzept beruht auf der Maxime, beim Verhandeln Vernunft anzuwenden. Das ist natürlich ganz richtig, nur manchmal liegen die Interessen der Verhandlungspartner jenseits der Vernunft. Das können z.B. bestimmte Werte sein, die (zumindest für eine Partei) sehr wichtig sein können, aber nicht unbedingt vernunftmäßig begründet werden können. In diesen Fällen kann eine rein vernunftgesteuerte Argumentation an ihre Grenzen kommen.
4. Das Harvard-Konzept fordert ein Vorgehen nach den dargelegten Prinzipien „unabhängig von Vertrauen oder Misstrauen“. Das halte ich nicht für den klügsten Weg. Ich empfehle, sehr wohl zu unterscheiden, ob die Beziehung mehr oder weniger vertrauensvoll ist und das eigene Verhalten flexibel daran auszurichten. Das Trainingsprogramm „Konstruktiv Verhandeln“ vermittelt dazu konkrete Verhaltenshinweise. Zum Beispiel sollte man sensible Informationen nicht vorschnell preisgeben, wenn die Beziehung (noch) nicht vertrauensvoll ist. Meistens ist es allerdings umgekehrt der Fall, dass Informationen zu sehr zurückgehalten werden – in einer vertrauensvollen Beziehung sollten Sie dieses Vertrauen weiter stärken, indem Sie Informationen frühzeitig offen legen. Ihr Verhandlungspartner wird es Ihnen höchstwahrscheinlich gleich tun.
Diese Kritikpunkte stellen das Harvard-Konzept an sich nicht in Frage, weisen aber auf einige Dinge hin, die im Harvard-Konzept nicht oder nur unzureichend berücksichtigt werden. Das Trainingsprogramm „Konstruktiv Verhandeln“ integriert das Harvard-Konzept und geht darüber hinaus. Es beinhaltet Lösungen für die hier dargestellten Punkte.
Mit diesem Beitrag endet meine Serie zum Harvard-Konzept. Den wichtigsten Prinzipien habe ich einen Beitrag gewidmet. Manche Themen habe ich nur gestreift, etwa die Themen „Wahlmöglichkeiten entwickeln“ oder „Umgehen mit Verhandlungstricks“. Nicht dargestellt habe ich das Thema „beste Alternative“. Vielleicht lege ich später einmal nach, ansonsten verweise ich auf das Buch „Das Harvard-Konzept“.
Und woher kommt der Name „Harvard-Konzept“? Das Konzept beruht auf dem „Harvard Negotiation Project“ der Harvard Universität. Das Anliegen des Harvard Negotiation Project ist es, die Theorie, Lehre und Praxis von Verhandlungen zu verbessern.
Die Beiträge dieser Serie im Überblick:
Verhandeln oder feilschen?
Hart verhandeln oder weich verhandeln?
Sachbezogenes Verhandeln
Beim Verhandeln Menschen und Probleme trennen
Beim Verhandeln auf Bedürfnisse konzentrieren
Beim Verhandeln objektive Kriterien anwenden
Kritik am Harvard-Konzept