Fragekompetenz für Führungskräfte

fragekompetenz-fur-fuhrungskrafte„Wer fragt, der führt“ – wer fragt, strukturiert und steuert ein Gespräch. Darüber hinaus verhindern Fragen einseitige Monologe und führen zu neuen Informationen. Eine echte Frage erwartet immer eine Antwort, wobei dem Befragten seine Antwort offen gelassen wird. Beide Gesprächspartner, der Frager und der Befragte, können von Fragen im Gespräch sehr profitieren. Es kommt jedoch nicht nur darauf an, den Wert von Fragen an sich zu verstehen, sondern auch kluge Fragen gezielt einzusetzen – das können wir Fragekompetenz nennen.

Führung ist Kommunikation. Die Frage ist nur, wie wird diese Kommunikation gestaltet? Ich kenne das Phänomen, dass Führungskräfte häufig dazu tendieren, praktisch in jeder Situation Argumente und Vorschläge zu produzieren, und eher wenig Fragen stellen. Fragen sind jedoch ein äußerst wichtiges und produktives Kommunikationswerkzeug von Führungskräften. Da kann das Buch Fragekompetenz für Führungskräfte einen wertvollen Beitrag leisten, mit Fragefertigkeiten die eigene Flexibilität in der Kommunikation zu erhöhen und die Verständigung zu verbessern. Andreas Patrzek geht das Thema Fragekompetenz in seinem Buch strukturiert, umfassend und tiefgründig an, und zeigt dabei immer den Bezug zur Praxis auf.

Einige Konzepte und Modelle dienen als Orientierung im Kosmos der Fragekompetenz, z.B. der Fragewürfel. Im Fragewürfel werden einige Grunddimensionen des Fragens aufgezeigt:

Funktion: Z.B. kann eine Frage eher personorientiert oder eher sachorientiert sein. Das Ziel einer Frage kann der Aufbau einer Beziehung, das Gewinnen von Informationen oder das Herbeiführen einer Entscheidung sein.

Form: Wahrscheinlich kennen Sie geschlossene und offene Fragen. Fragen können auch zirkulär, hypothetisch oder skalierend sein, oder eine Kombination solcher Eigenschaften aufweisen. Der Autor veranschaulicht die unterschiedlichen Frageformen im „Fragestift“.

Situation: Z.B. kann eine Frage so gestellt werden, dass eine hierachische Beziehung oder eine gleichgestellte Ebene zum Ausdruck gebracht wird. Der Fragekontext kann beruflich oder privat sein etc.

Diese Dimensionen werden von Andreas Patrzek ausführlich dargestellt und mit Beispielen angereichert. Der Leser kann mithilfe solcher Dimensionen ein Gespräch zielorientierter vorbereiten und die angemessene Frageform und Fragestellung wählen. Der Autor stellt auch in sehr erhellender Weise dar, welche typischen Fehler beim Fragen auftreten.

Für den richtigen Einsatz von Fragen, hier einige Tipps (aus dem Buch):

  • Formulieren Sie Ihre Frage kurz und prägnant.
  • Eine gute Frage kommt mit maximal 15 Worten aus.
  • Also: Stellen Sie Ihre Frage. (10 Worte reichen auch)
  • Dann: Schweigen Sie eine Weile. (Auch wenn es Ihnen schwer fällt…)
  • Dabei: Halten Sie Blickkontakt. (Aber: keinen stechenden Verhör-Blick)
  • Und: Warten Sie auf die Antwort. (Aber: nicht gähnen dabei…)
  • Falls Sie spüren, dass etwas offen ist: Stellen Sie noch eine Frage – oder formulieren Sie Ihr Gefühl mit einer Ich-Botschaft.

Überigens, bei aller Kenntnis von Fragearten und bei aller Fragetechnik: Ohne die Grundtugenden des Fragens werden Sie nie die besten Ergebnisse erzielen:

  • Kontakt zum Gesprächspartner herstellen
  • Wohlwollen (Wertschätzung)
  • Aktiv zuhören

Ich empfehle dieses Buch sehr gerne. Es ist im Rosenberger Fachverlag erschienen, allerdings zurzeit vergriffen und nur als E-Book erhältlich. Die neue Auflage erscheint Mitte 2010.

Beckmanns gedopte Fragen

In der Fragetechnik sind zwei Hauptarten von Fragen bekannt: die geschlossenen und die offenen. Offene Fragen oder auch W-Fragen (wieso, weshalb, warum …) sind explorativ und führen zu Informationen, die ich vorher nicht habe. Offene Fragen führen zu einem tieferen Verständnis eines Problems. Geschlossene Fragen führen häufig zum Ende einer Diskussion (Haben Sie mich jetzt verstanden?) oder zu einer Vorauswahl (Sind Sie der Entscheidungsträger?). Geschlossene Fragen können sinngerecht nur mit ja oder nein beantwortet werden und helfen ein Gespräch auf wichtige Punkte zu konzentrieren. „Fragen richtig einsetzen“ ist wesentlicher Bestandteil von Kommunikationsseminaren.

Die Fernsehunterhaltung erschuf eine weitere Kategorie von Fragen: Informationsfreie Selbstdarstellungsfragen. Der Fragensteller (der Moderator) beantwortet in einem Monolog die Frage selbst und fragt erst dann den Gast. War das so?

Geglückt aus fragetechnischer Sicht kann man allerdings das Interview von Reinhold Beckmann mit Jan Ullrich nennen. Der hatte am Morgen des gleichen Tages seinen Rücktritt vom aktiven Radsport erklärt. Dopingvorwürfe hinderten ihm im Sommer 2006 bei der Tour d’France zu starten.

Nach anfänglichem Geplänkel legt Beckmann los:

Dann lassen Sie uns mal versuchen einzusteigen. Befürchten Sie, dass die Öffentlichkeit den heutigen Rücktritt als Schuldeingeständnis werten könnte?

Die Fragen sind kurz und er lässt Jan Ulrich reden. Jan Ulrich erwähnt eine Speichelprobe und zack, springt der Tiger Beckmann auf das Thema:

Warum haben Sie die Speichelprobe, Jan, erst so spät abgegeben, warum haben Sie die Speichelprobe nicht unmittelbar (…) abgegeben.

Beckmann zitiert Ulrich und fragt.

Sie haben am 30.6. gesagt, Sie werden Ihre Unschuld beweisen. Danach ist nichts passiert, warum.

Interessante Randnotiz: Ulrich duzt Beckmann, Beckmann siezt Ulrich, sagt aber Jan.
Nachdem Ulrich beteuert, dass er nicht gewusst hätte, wo er die Speichelprobe abgeben soll, dreht Beckmann auf:

Ja, das wissen Sie ganz genau. Das kann nicht der Grund sein.

Das lässt er stehen und lenkt den Fokus auf die Chronologie und zählt alles in einem Filmbeitrag auf: Spanische Antidrogen-Einheit, Fuentes, Ermittlung gegen Ulrich, Blutreserven mit der Aufschrift Jan, Strafanzeige, Staatsanwaltschaft Bonn, außerordentliche Kündigung von T-Mobile, Durchsuchungen von Ulrichs Haus,…

Ulrich ist nun unter Druck, Beckmann bleibt ruhig. Nach Ulrichs Meinung ist die Geschichte so falsch dargestellt. Beckmann bleibt kühl:

Gut, dann fangen wir an die Geschichte so darzustellen, wie es Ihrer Meinung nach richtig ist. Wir haben Zeit genug.

Sein Untertitel ist: Hier ist noch lange nicht Schluss und wir reden nicht über Deinen Frau und nicht über Deine Tochter, sondern über die Dopingsache.

Wieder lässt er Ulrich reden. Ulrich leidet nun sichtlich und benutzt Kraftausdrücke. Wiederholt und hartnäckig fragt Beckmann, „begrüßen Sie es, dass die Speichelprobe nun abgeglichen wird.“ Beckmann ist jetzt ein Terrier. Ulrich ist angeschlagen. Er lässt lange Pausen, sagt häufig „jetzt aber ganz ehrlich“. Im Hintergrund hört man Beckmann „ja“ und „mhm“. Ulrich soll also weiterreden und er leidet und dann wieder ein „mhm“. Ulrich wiederholt, er wolle jetzt auf seine Anwälte hören, und nichts sagen, aber Beckmann schafft es, dass Ulrich weiterredet.

Gelegentlich will Beckmann formulierte Unschärfen von Ulrich genauer Wissen.

Was heißt es, dass es in Spanien ordentlich funktioniert?

Das wirkt wie ein Hieb.

Beckmann führt nun Zeugen an. Ein T-Mobile Pressesprecher hätte ihn mehrfach angewiesen, einen DNA-Schnelltest zu machen, warum sei Ulrich nicht darauf eingegangen. Beckmann führt also weitere „Zeugen“ mit in das Gespräch ein. Hier bleibt Beckmann am Ball, er fragt nach, „hat er ihnen das vorgeschlagen“ und dann macht Beckmann auf unverständlich:

Das wäre doch ein Befreiungsschlag für Sie gewesen. Ich habe nicht gedopt, ich kann einen Speicheltest abliefern (…) Hätten Sie das gemacht, wäre das ein Befreiungsschlag gewesen.

Dann spielt er den lieben Onkel und unterbricht ein Abwehrversuch von Ulrich mit:

Wir versuchen, es ja zu verstehen, warum sie sich nicht selbst befreit haben.

Beckmann lädt Ulrich ein, sich in andere hineinzuversetzen und lockt ihn so aus seiner Defensive.

Aber Jan, können Sie nachvollziehen, dass der Eindruck der an Indizien draußen da ist für den neutralen Beobachter so ist, dass es einen Kontakt gegeben haben muss.

Und jetzt fühlt sich Beckmann richtig sicher und holt noch mal zu einer Zwischencharme-Offensive aus:

Im Grunde genommen sind wir da, Jan, auch Fans. Wir haben alle da vor der Glotze gesessen, am Straßenrand, und haben gedacht, Mensch, was für ein außergewöhnlicher Sportler, was für ein Jahrhunderttalent.

Ulrich nickt. Leider reine Ablenkung, Jan. Beckmann verbindet Wahrheit und Fans, um dann seine Frage zu stellen:

Die Fans sagen, der soll uns doch die Wahrheit sagen, dafür lieben wir ihn doch. Sind Sie Ihren Fans das nicht schuldig?

Beckmann zitiert also Ulrich selbst, zitiert Zeugen, listet alle Anschuldigungen auf, lässt einen Dopingexperten sprechen, bietet sich als Helfer Ulrichs an und argumentiert aus Sichtweise der Fans. All das bringt Ulrich sichtlich unter Druck. Er leidet. Oder wie es Juan Moreno in der Süddeutschen formulierte:

Vor allem ist Jan Ulrich aber jemand, der am Montag gelernt haben dürfte, dass man keinen Berg braucht, um sich zu quälen, dass es weh tut. Manchmal reichen auch ein Fernsehstudio, 75 Minuten Zeit und Reinhold Beckmann.