Konflikt 21

Konflikte gibt es allerorten. Manchmal auch da, wo gebaut wird, ob ein Maschendrahtzaun im sächsischen Auerbach oder ein Bahnhof im schwäbischen Stuttgart. Die Konfliktentwicklung folgt dabei erstaunlich häufig einem bestimmten Muster, das Friedrich Glasl in seiner  Konflikteskalation beschreibt. Innerhalb von 9 Stufen schafft es der Konflikt von noch harmlosen Spannungen und Verhärtungen der Positionen (Stufe 1) zu dem gemeinsamen Abgrund (Stufe 9).

Stufe 1 Verhärtung und Spannungen: Am 3.02. Februar dieses Jahres meldet die Süddeutsche Zeitung, dass „Kritiker des Projekts glauben, dass Stuttgart 21 und die Schnellbahnstrecke viel teurer werden als behauptet.“ Rechnungen über Mehrkosten werden angestellt und Gegner des Projektes legen ein kostengünstigeres Gegenkonzept vor. Die Befürworter argumentieren, dass sich die Fahrzeit Innenstadt Flughafen von 27 auf 8 Minuten reduziert, die Fahrzeit Stuttgart Ulm von 54 auf 28 Minuten reduziert. Die Diskussion basiert noch auf Fakten, die eigenen Standpunkte werden verhärtet, die eigene Flexibilität der Sichtweisen ist allerdings bereits eingeschränkt.

Stufe 2 Polarisation und Debatte: Die Worte werden schärfer. „Bei Abriss Aufstand“ hört man auf der einen Seite, auf der anderen kündigt die Bahn den Abriss des Nordflügels bereits für August an.

Stufe 3 Taten statt Worte: Am 26. August besetzen Gegner den Nordflügel. Diese werden wegen Hausfriedensbruch angezeigt.

Stufe 4 Koalitionen: Diese Stufe verlief im Falle von Stuttgart 21 parallel zu den ersten drei Stufen. Eine Allianz von Gegnern aus Grünen, dem BUND, Architekten und Verkehrsplanern hat das Gegenkonzept Kopfbahnhof 21 vorgelegt. Mehrere Gruppen finden sich zusammen und rufen zu Montagsdemonstrationen gegen Stuttgart 21 auf.

Stufe 5 Demaskierung und Gesichtsverlust: Jetzt geht’s so richtig los! Bei Stufe 5 wird das Denken mehr und mehr abgeschaltet. Stellt man sich die Stufen als Treppe in den Abgrund vor, werden die Stufen kleiner, rutschiger, gefährlicher. Der anderen Seite werden Unredlichkeit, und schlechte Einstellungen und Motive unterstellt. Sich selbst betrachtet man als Wahrer von Werten. Die eigenen Motive sind redlich. Man selbst ist klüger, realistischer und flexibler als die anderen. Hier verstärken sich die psychologischen Mechanismen von Groupthink (mangelnde Objektivität für andere Meinungen, Konformitätsdruck und selektive Wahrnehmung). Natürlich freut es auch unseren Selbstwert, wenn wir so schlau sind und die Gegner so dumm.

Im Falle von Stuttgart 21 ist ja einiges auf dieser Stufe passiert: Die Gegner seien fortschrittsfeindliche Querulanten, Radaubrüder, die sonst nichts zu tun haben oder kriminelle Autonome. Und die Befürworter? Die machen doch nur krumme Geschäfte. Warum wird das denn immer alles teurer? Welche Lobbyisten verdienen denn da noch mit?

Stufe 6 Bedrohung und Stufe 7 Begrenzte Schläge: Die Eskalation mündet in Gewalt. Tatort Schlossgarten. Polizei und Demonstranten geraten aneinander. Laut offiziellen Angaben sind 130 Menschen verletzt, laut Sprechern der Gegner 400.

Die letzten beiden Stufen 8 und 9 Zersplitterung und gemeinsamer Abgrund sind noch nicht erreicht. Das Überschreiten der letzten Stufe wäre, wenn beide Parteien Ihr Ziel nicht erreichen. Wenn es beiden Parteien wichtiger wird, dass der andere vernichtet wird als das man seine eigenen Ziele erreicht. Also in unserem Falle kein Bahnhof und kein Geld für niemanden. Wir hoffen natürlich, dass die Schwaben cleverer sind und deeskalieren.

Eine Deeskalation würde bedeuten wieder auf die erste Stufe zu kommen und wieder miteinander zu reden. Hilfe zum miteinander Reden verspricht der Schlichter Heiner Geißler. Er will, dass alle Argumente, Fakten, Zahlen und Einschätzungen auf den Tisch kommen. Weg von Unterstellungen hin zu sachlogischen Debatten. Wir sind gespannt, wie es weitergeht mit „de schwäbsche Eisebohne”.