Manager und Leader – Interview mit Armin Rütten

armin-rutten.jpgArmin Rütten bietet Beratung zu Persönlichkeitsentwicklung, Work/Lifebalance, Supervision (für Entscheider in Unternehmen, Hochschuleinrichtungen und Freiberufler) und Mentoring. Seine Tätigkeiten und Interessenfelder sind sehr vielseitig, mit großer Nähe zur Philosophie. Im Interview konzentrieren wir uns heute auf das Thema „Manager und Leader“.

John P. Kotter und andere Autoren haben beklagt, es gäbe in den Unternehmen zu viele Manager und zu wenig echte Führungskräfte (Leader). Es wurde grob unterschieden: Manager organisieren und überwachen. Leader führen und motivieren ihr Team.

1. Herr Rütten, wie unterscheiden sich Manager und Leader?

Definitionen von Management gibt es viele, meist beinhalten sie Anforderungskategorien wie Organisationstalent, Führungsqualitäten, Teamfähigkeit, Verlässlichkeit, Objektivität, Kundenorientiertheit u.v.m. In Momenten, da der Ruf nach Visionären und Leadern laut wird, werden die Positionsbeschreibungen und Anforderungsprofile um Innovationsfähigkeit, Kreativität, Charisma ergänzt.

Die öffentliche Wahrnehmung hat den Manager momentan als Sündenbock im Visier, nämlich in punkto mangelnder Sozialverträglichkeit. Die Forschung hofft währenddessen, das intuitive Potential des Managers in den Griff zu bekommen, um mehr Leader zu schaffen.

Eine einfache Gegenüberstellung gewisser Merkmale der beiden Typen liefe wohl auf etwa folgendes hinaus: Manager = hochorganisiert aber langweilig – Leader = chaotisch aber inspirierend, Manager = regelkonform / verlässlich aber unflexibel – Leader = unorthodox aber innovativ. Sicherheit oder Innovation? Reproduktion von Althergebrachtem oder kreative Neugestaltung? Diese Lagermentalität finde ich unsinnig. Eine erfolgreiche Gesellschaft braucht beide, die Konservativen und die Neuerer.

2. Was zeichnet die Kommunikation eines Leaders aus?

Die Erforschung der Soft Skills, die den Leadertypus auszeichnen, steckt noch absolut in den Kinderschuhen. Aus meiner Sicht liegt die besondere Befähigung und Könnerschaft eines Managers in der  Vermittlung von Inhalten. Der Leader hat hier eine Schwäche, zumindest wo es um Kommunikation in etablierten Geschäftsprozessen geht. Der Leader kann seine Einsichten nur unter Mühen sequentiell  nachvollziehbar darstellen, und das lässt ihn als schwer einordbaren und unverständlichen Wirrkopf rüberkommen. Man kann ihn solange tolerieren, wie Geld für Experimente im Topf ist und wie seine Ergüsse nah genug an „Realitäten“ liegen, um unmittelbar in Firmen- oder politische Erfolge umgemünzt werden können. Dieser Denkertypus braucht daher meist einen Übersetzer für seine Einsichten, den wieder besonders befähigte Manager stellen, die zumindest einen gewissen Anteil des Leadertums ihr Eigen nennen.

Der engagierte Leader ist ein äußerst schwieriger Gesprächspartner und wird durch diese Erfahrung nicht eben zu einem geduldigeren Menschen gegenüber von ihm leicht als langsam oder uninspiriert wahrgenommenen „Normalos“. Kommunikation setzt eben nicht nur einen grammatikalisch korrekten Sprachgebrauch voraus, sondern auch ein wachsendes Verständnis dafür, wie die Gegenüber ticken.
Ergo, da gerade für den Leadertypus solche Anleitungen fehlen, ist der Erwerb einer Könnerschaft für ihn ein extrem mühsamer Weg.

3. Es wäre natürlich schön, wenn Manager und Leader sich ergänzen. Kann ein Manager auch aus sich heraus Leadership-Qualitäten entwickeln?

Mir stellt sich eher die Frage, wie wir die Leader orten und schulen können, um vorhandenes aber vernachlässigtes Potential unserer Gesellschaft gerade in Zeiten verfügbar zu machen, da sich zunehmend erweist, dass wieder ein Punkt erreicht ist, wo Althergebrachtes sich zur Beantwortung vollkommen neuer Fragestellungen für unsere Zukunft als untauglich erweist.

Manager in Schlüsselpositionen bemerken meist als erste, dass liebgewonnene Regeln und Arbeitsschritte nicht mehr zum Erfolg führen. Woran es fehlt, ist nun die Regel, die jetzt zur Anwendung gelangen sollte. Der Manager erkennt, dass er entgegen bestimmter Vorschriften zu Abläufen oder entgegen einer Markttendenz handeln müsste.

Der sich in den Finanzderivaten abzeichnende Einfallsreichtum kam meist dadurch zustande, dass hochspezialisierte Manager nach bekannten Regeln bestehende Gesetze ausloten und Schlupflöcher finden; diese Innovationen sind kaum wirklich als solche zu bezeichnen. Leader täten dem Bankgewerbe gut.

Aber auch Manager können Leadership-Qualitäten entwickeln. Einen wichtigen Schlüssel sehe ich eindeutig im eigenen Selbstvertrauen. Versteht ein Manager einmal weitgehender, wie er tickt und was ihn wie andere umtreibt, kann er manche aus Befindlichkeiten geborenen Handlungs- und Denkbremsen außer Kraft setzen und sich gelöst auf die Suche nach neuen Wegen machen. Versucht er aber um jeden Preis, einem gewohnten und als sicher empfundenen Weg zu folgen, hat er keine Antworten, hatte er schon die sich stellenden neuen Fragen nicht im Entstehen bemerkt. Ein anderer Schlüssel ist, das vernachlässigte Potential zur Nichtlinearität oder Kreativität zu wecken und zu schulen.

Grundsätzlich lässt sich sagen, dass Manager sehr viel leichter Leaderqualitäten erwerben können als umgekehrt.

Deutsche Unternehmen sind zu deutsch

150px-flag_of_germany-pd.png„Löscher hält Siemens für zu deutsch“ titelt die FTD heute (25.6.2008). Der Konzernchef beklagt im Interview die mangelnde Internationalität seines Managements: „Unsere 600 Spitzenmanager sind vorwiegend weiße deutsche Männer. Wir sind zu eindimensional.“ Die Message ist klar: Wir wollen mehr Manager aus anderen Kulturkreisen und mehr Frauen in Managementpositionen.

Hier geht es um Diversität. Diversität bezeichnet in der Biologie die Artenmannigfaltigkeit, die Vielfalt von Arten in einem Lebensraum. In Unternehmen bedeutet Diversität die Vielfalt in der Mitarbeiterstruktur, zum Beispiel hinsichtlich der Merkmale weiß/farbig, männlich/weiblich, jung/alt.

Viele Unternehmen machen sich stark für das Thema Diversität. Die Motivation dafür kann durchaus unterschiedlich sein. In der Regel versprechen sich die Unternehmen davon eine höhere Kreativität.

Hewlett-Packard, zurzeit der größte Computerhersteller der Welt: „Wir bei HP sind der Überzeugung, dass Diversity … die Hauptantriebskraft für Kreativität, Innovation und Erfindungsgeist darstellt. Diversity ist ein wesentlicher Bestandteil unserer Unternehmenskultur. Sie ist für uns nicht nur ein Muss in Bezug auf eine attraktive Arbeitsumgebung, sondern sie hilft uns auch, am Markt erfolgreich zu sein.“

Delphi, ein führender Zulieferer für die Automobilindustrie: „Unser Unternehmen wird durch die Verkörperung unterschiedlicher Erfahrungen, Hintergründe, ethnischer Gruppen, Lebensstile, kultureller Anschauungen und Glaubensrichtungen bereichert. Diese Ansicht wird vom Vorstand und den höchsten Führungsetagen bis zur gesamten Mitarbeiterbasis geteilt.“

Für Siemens ist noch ein anderer Aspekt ausschlaggebend. Peter Löscher: „Es ist absolut entscheidend. Es ist das Wichtigste. Bildet man seinen globalen Kundenstamm nicht ab, kann man sein volles Potenzial nicht ausnutzen. Bekommt man das hin, hat man einen gewaltigen Vorteil.“

Es geht also darum, den globalen Kundenstamm abzubilden. Die Kunden sollen sich eher mit Siemens identifizieren können. Das klingt für mich ein wenig paradox: Denn dieses Argument besagt, dass letztlich die kulturelle Ähnlichkeit gewünscht ist. Allerdings nicht im Unternehmen, sondern in einer Region.

Jedenfalls: Ein globales Unternehmen braucht eine globalere Unternehmenskultur, so der Ansatz. Da hat nicht nur Siemens, sondern der größte Teil der deutschen Unternehmen noch einen weiten Weg vor sich.

Für die Interaktion in den globalen Unternehmen der Zukunft bedeutet das mehr Vielfalt hinsichtlich der Kommunikationsstile, aber auch größere Herausforderungen für die Mitarbeiter und Manager. Der einzelne kann immer weniger damit rechnen, dass der andere schon versteht, was gesagt wird, denn man tickt ja ähnlich. In Zukunft wird es einen noch größeren Unterschied machen, wie offen jemand ist für andere Menschen und Kulturen, wie gut jemand auf andere eingehen kann, wie gut jemand Menschen mit völlig anderen Hintergründen überzeugen kann, wie gut jemand eine Gemeinschaft formen kann aus höchst unterschiedlichen Individuen.