Risiko von Gerd Gigerenzer

Gerd Gigerenzer Risiko
Schon allein der Name verspricht gedankendurchdrungenes Programm: Gerd Gigerenzer, einerseits bodenständig, andererseits futuristisch. Die Arbeit  des Psychologie-Professors vom Max-Planck Institut in Berlin ist die große Alternative zu dem etablierten Theorien von Kahneman in Bezug auf unser Denken.

Vereinfacht gesagt ist für Kahneman das intuitive Denken fehlerhaft. Er hat eine Reihe von solchen kognitiven Verzerrungen dargestellt, die unter anderem hier aufgelistet sind. Für Gigerenzer ist das intuitive Denken ein großer Segen der Menschheit, das uns in kritischen Situationen schnell die richtigen Entscheidungen treffen lässt. Sein anschauliches Breispiel hierzu ist die Blickheuristik. Wie fangen Baseballspieler einen Ball: Fixiere das Objekt und passe deine Geschwindigkeit so an, dass der Blickwinkel konstant bleibt. Würde der Baseballspieler aufwendig die Geschwindigkeit des Balles mal der Fluglinie mal seiner eigenen Geschwindigkeit unter Einbeziehung der Größe Handschuhs berechnen, hätte die angreifende Mannschaft sicherlich schon den Homerun erlaufen.  Die Anwendung der Blickheuristik war es auch, die im Januar 2009 150 Menschen das Leben retteten. Der Pilot landete das Flugzeug, das durch Vogelkollision die Turbinen verloren hatte,  so sicher auf dem Hudson River.

In seinem Buch „Risiko“ zeigt Gigerenzer einfache Regeln auf, die in einer Welt voller Ungewissheit, ein höhere Erfolgswahrscheinlichkeit haben als ausgefeilte, komplexe Theorien.  Eine der Welt voller Ungewissheit ist die Finanzbranche. Selbst mit der Macht der Vorhersagesysteme von Nobelpreisträgern schaffen es Banken nicht, den Dax oder den Wechselkurs von Euro und Dollar zu prognostizieren. Auch hier zeigen sich einfache Regeln der Finanzierung den komplexen Systemen überlegen.
Intuitiv ist unser Denken gut aufgestellt. Gigerenzer widmet sich noch der Frage, wie wir mit kommunizierten Wahrscheinlichkeiten umgehen. Was glauben wir denn, was eine Regenwahrscheinlichkeit von 70 % bedeutet? Das es 70 % der Zeit regnet, das es in 70 % des angegeben Ortes regnet? Das es 70 % der Meteorologen glauben, es würde zu 100 % regnen?

In dem als Streitschrift zu verstehenden Buch, plädiert er auch für eine einfachere und nachvollziehbare Kommunikation von Wahrscheinlichkeiten. Ins Visier nimmt er hier die Ärzteschaft, die wie er zeigt, Wahrscheinlichkeiten aus Studien fehlerhaft interpretieren?  Was heißt es denn, dass ein Medikament zu 30 % Erfolg hat? Wie wahrscheinlich ist es, dass eine Frau Brustkrebs hat, wenn ein Test positiv ist? Wahrscheinlichkeiten müssen so kommuniziert werden, dass sie der Empfänger versteht. Möglich wäre das mit sogenannten Icon-Boxen.

Ein spannendes Buch mit erfrischenden Gedanken zu unserem Denken und der Konsequenzen.

Das Challenger Unglück – und was das mit Kommunikation zu tun hat

challenger_explosion-240pxpd.jpgHeute vor 25 Jahren, am 28. Januar 1986: Die Raumfähre Challenger (Mission 51-L) explodiert beim Start, alle 7 Besatzungsmitglieder sterben. Es war der bis dahin schwerste Unfall in der Raumfahrtgeschichte der USA. Die Challenger-Katastrophe führte für 2 Jahre zur Einstellung des Shuttle-Programms der NASA.

Was genau passierte, ist in der NASA Missionsbeschreibung nachzulesen: 73 Sekunden nach dem Start von Cape Canaveral explodierte die Fähre. Vor der Explosion gab es einen Flammenaustritt an der Seite eines Boosters.

Eine Untersuchungskommission wurde damit beauftragt, die Ursachen für das Unglück zu ermitteln. Die Kommission konnte folgende Ursache sehr überzeugend belegen: Ein Dichtungsring der Feststoffraketen, ein sogenannter O-Ring, hat versagt. Das Material des Dichtungsrings (Kunstgummi) war aufgrund der Kälte beim Start (Nachtfrost) zu wenig elastisch. Soweit die technische Seite der Geschichte – ein Dichtungsring war zu wenig elastisch. Kleine Ursache – große Wirkung.

Das Challenger-Unglück ist ein interessantes Fallbeispiel für eine Katastrophe, für die letztlich nicht die Ursache in der Technik zu suchen ist, sondern in der Kommunikation. Wie konnte es also zu so einer Katastrophe kommen, und was hat das mit Kommunikation zu tun?

feynman-kuemmertsie.jpgDas Mitglied der Untersuchungskommission Richard P. Feynman, (Physiker, Autor, Nobelpreisträger) berichtet in einem seiner Bücher aus seiner Sicht über die Tätigkeit und die Erkenntnisse der Kommission.

Vor dem Start gab es einige Diskussionen. Ingenieure des Herstellers der Raketen, Morton Thiokol Inc., hatten starke Befürchtungen wegen dem Versagen der Dichtungsringe, speziell bei Kälte, und brachten diese dem NASA-Management gegenüber zum Ausdruck. In einer Sitzung der Kommission meldet sich ein Ingenieur von Morton Thiokol zu Wort. „Seine Kollegen von Morton Thiokol und er seinen zum Schluß gelangt, … dass das Dichtungsproblem etwas mit niedrigen Temperaturen zu tun habe. Sie seien außerordentlich besorgt gewesen und hätten der NASA in der Nacht vor dem Start … dringend davon abgeraten … zu starten.“ Das NASA Management habe entsetzt reagiert. Das Beweismaterial sei „unvollständig“, man habe auch bei erfolgreichen Flügen Verschleisserscheinungen beobachtet, die Ingenieure sollten das Thema aus Management-Sicht betrachten usw. So wurde Druck aufgebaut, das Veto gegen den Start zurückzuziehen, und schließlich gaben die Leute von Thiokol nach (Feynman, „Kümmert Sie, was andere Leute denken?“, S. 137, S. 171).

Die Kommissionsmitglieder trauten Ihren Ohren kaum. Schockierend war damals und ist es auch heute noch: Es war durchaus bekannt, dass der Dichtungsring ein Risiko darstellt, und zwar insbesondere bei niedrigen Temperaturen. Der Start wurde dennoch freigegeben. Das ist wie russisches Roulette. Es kann gut gehen, aber auch nicht; und selbst wenn es gut geht, ist das keine Garantie dafür, dass es ein weiteres Mal gut geht.

Das ist auch ein Fall von Gruppendenken. Gruppendenken (Groupthink) bezeichnet das Phänomen, dass eine Gruppe von eigentlich kompetenten Personen schlechte oder realitätsferne Entscheidungen trifft, indem sich die Mitglieder der Gruppe einer allgemeinen Gruppenmeinung anpassen. Hinzu kamen eingeschliffene Verhaltensweisen in der NASA-Kultur, wie die „Normalisierung“ von Auffälligkeiten (Abweichungen, die eigentlich außerhalb der Toleranz lagen, wurden einfach für „normal“ erklärt).

Risiko“ ist für Organisationen kein objektiver Tatbestand, sondern ein sozial ausgehandeltes Konstrukt (nebenbei: Ich denke da auch an die Ursachen der gegenwärtigen Finanz- und Wirtschaftskrise – bestehende Risiken wurden lange Zeit verdrängt).

challenger_flight_51-l_crew-250pxpd.jpgNur selten hat unangemessenes Kommunikationsverhalten derart dramatische Auswirkungen. Bei dem Challenger-Unglück haben wir glücklicherweise einen Fall, der intensiv untersucht wurde. Das ist bei den tagtäglichen unternehmerischen Entscheidungen natürlich nur sehr selten der Fall. Aber wir alle kennen Situationen, in denen Fakten geleugnet wurden, Druck ausgeübt wurde, nicht zugehört wurde und auch Situationen, in denen ein guter Standpunkt vorschnell aufgegeben wurde. Die Kosten schlechter Kommunikation und schlechter Entscheidungen sind schwer zu erfassen, sind aber zweifelsohne extrem hoch. Das sagen uns eigene Erfahrungen und der gesunde Menschenverstand. Umgekehrt gilt: Bessere Kommunikation spart Nerven und Kosten (und rettet manchmal Leben). Bessere Kommunikation macht die Welt zu einem besseren Ort. Ich möchte dazu anregen, in Zukunft ein klein wenig bewusster zu kommunizieren.

In Gedenken an die Besatzungsmitglieder Francis R. Scobee, Michael J. Smith, Judith A. Resnik, Ellison S. Onizuka, Ronald E. McNair, Gregory B. Jarvis, Sharon Christa McAuliffe.