Ich erinner’ mich als ich jung und unverdorben aus der Universität in meinen ersten Job als Unternehmensberater kam. Die auswendig gelernten Konzepte wie „Management by Objectives“, Selbstregulation, Teilautonome Arbeitsgruppen oder Qualitätszirkel bestimmten das Prüfungsmaterial und mein Denken: Konzepte, die den Menschen und seine Selbstverantwortung in den Vordergrund stellen. Retrospektiv betrachtet ist man versucht zu sagen, dass stets eine romantische Verklärung hier mitschwebte. Die Einführung und Umsetzung und Aufrechterhaltung solcher Konzepte war nie ein Thema. Es gab nur Listen mit Vor- und Nachteilen, die eben auswendig gelernt werden mussten.
Der einzige Artikel, das einzige Konzept, das sich hier absetzte war der herrlich geschrieben Artikel „Mikropolitik“ von Neuberger (1995). Mikropolitik ist…
das Arsenal jener alltäglichen „kleinen“ Machtmethoden, mit denen innerhalb von Organisationen Macht aufgebaut und eingesetzt wird“
Neuberger hat sich mal angeschaut, was passiert wirklich in Organisationen, welche Machtspiele finden statt und wessen Interessen werden vertreten. Zielsetzungen von mikropolitischen Maßnahmen sind Aufstieg, die Erweiterung der Handlungsspielräume, höhere Budgets oder mehr Bezahlung. Maßnahmen selbst sind Filtern von Informationen, Vetternwirtschaft, das Ausnutzen des Bürokratismus, die Selbstdarstellung oder das gezielte Einschalten von Vorgesetzten.
Im Gegensatz zu pseudopopulärwissenschaftlicher Literatur bettet Neuberger die mikropolitischen Vorgehensweisen in ein umfassendes Handlungsmodell ein und thematisiert den Umgang mit Moral. Angebotene Gegenstrategien sind die Offenlegung von Entscheidungswegen und das offene Austragen von Konflikten.
Hier wären wir wieder bei dem Doing, der tatsächlichen Umsetzung. Wie trage ich Konflikte aus, damit ich einerseits die Arbeitsbeziehung nicht schwäche, aber trotzdem mein Arbeitsziel erreiche.
Und damit sind wir wieder am Anfang. Das tatsächliche Machen in Unternehmen, Ziele vorantreiben, Beziehungen aufbauen, wie das geht, das findet man nicht in den abstrakten Konzepten der reinen Lehre.