Dr. Kerstin Haury arbeitet in der strategischen Personalentwicklung bei der Deutschen Flugsicherung. Noch vor 10 Jahren haben wir gemeinsam für das Diplom im Fach Psychologie gelernt und überlegt, was wir wohl so in 10 Jahren machen. Gut, dass wir jetzt die Gelegenheit für Antworten haben.
Frage > Hallo Kerstin, hast Du die letzten 10 Jahre das Wissen, das wir an der Universität erworben haben, einbringen können?
Insgesamt gesehen schon. Natürlich muss man erst mal „verdauen“, dass das, was man an der Uni so schön klar gegliedert und wissenschaftlich fundiert beigebracht bekommen hat, in der Praxis viel komplizierter ist und aus irgendeinem Grund dann doch immer nicht so funktioniert, wie es im Buch steht. Aber in den beruflichen Stationen, in denen ich bisher gearbeitet habe (HR-Beratung, wissenschaftliche Beratung, PE im Unternehmen), ging es immer um Personaldiagnostik und Personalentwicklung und dazu ist psychologisches Fachwissen dann doch recht wichtig bzw. bringt mir häufiger mal einen Wissensvorsprung vor internen und externen Kollegen, die nicht Psychologie studiert haben.
Frage > Dann hast Du also bereits viele Sichtweisen erlebt, Unibetrieb, Beratermilieu, Personalarbeit in Großunternehmen. Hilft das bei Deiner täglichen Arbeit?
Ja, das würde ich schon sagen. Die Beschäftigung mit dem Thema Personal aus den unterschiedlichen Perspektiven hat dazu geführt, dass ich inzwischen ein ziemlich vollständiges Bild des Ganzen aufgebaut habe: Ich weiß zum einen, wie Personalentwicklung und -diagnostik idealerweise sein sollten, und zum anderen, was praktisch machbar ist und wie man konkret dorthin kommt.
Die Arbeit in der Beratung und während meiner Promotion an der Uni hat mich nämlich fit gemacht in den verschiedenen PE- und Diagnostik-Tools, weil man dort sehr stark inhaltlich arbeitet. Nachdem ich dann „die Seiten gewechselt“ habe und in einem Unternehmen arbeite, kenne ich aber auch die großen und kleinen Alltags-Hindernisse, mit denen man bei der konkreten Durchführung von Projekten vor Ort manchmal zu kämpfen hat und die man als Berater eigentlich gar nicht so richtig mitbekommt. Dadurch weiß ich, worauf es bei der Umsetzung neben den guten Ideen und der fachlichen Expertise eben auch noch ankommt, um Erfolg zu haben.
Frage > Wie muss man sich denn strategische Personalentwicklung vorstellen. Was ist denn der strategische Ansatzpunkt?
Die strategische Personalentwicklung hat sozusagen den Auftrag, das Unternehmen bei der Umsetzung seiner Gesamt-Strategie zu unterstützen. Wir entwickeln Maßnahmen und Konzepte (und setzen diese dann um), um die Mitarbeiter in ihrem Arbeitsverhalten für die Umsetzung dieser Strategie zu sensibilisieren. Das kann z.B. durch die Entwicklung eines aus der Unternehmensstrategie abgeleiteten Kompetenzmodells geschehen und durch die Ausrichtung aller PE-Instrumente daran. Das Feedback an die Mitarbeiter erfolgt dann auch an den Kriterien, die für die Erreichung der Unternehmensziele wichtig sind, und nicht nur an denen, die für die Erfüllung der individuellen Arbeitsaufgaben unmittelbar notwendig sind. In der strategischen PE geht außerdem auch immer um die Lösung von Fragestellungen, die für alle oder sehr viele Mitarbeiter relevant sind, nicht so sehr um die Unterstützung von Führungskräften und Mitarbeitern im Einzelfall. Beispielsweise habe ich mich mit der Frage beschäftigt, ob die Einführung einer Fachkarriere in unserem Unternehmen sinnvoll ist oder nicht, und welche Unterstützung Nachwuchsführungskräfte bei der Übernahme ihrer neuen Position erhalten sollten. Bei der Entscheidung spielte dann auch eine Rolle, ob die Maßnahmen die Unternehmensstrategie unterstützen bzw. im Sinne der Unternehmensstrategie sind.
Frage > In der Psychologie sowie in der Personalentwicklung geht es doch häufig um Verhaltensänderung. Wie glaubst Du kann man das Verhalten am besten durch Personalentwicklung verändern?
Als erstes muss man sich natürlich überlegen, welche PE-Maßnahme überhaupt für die gewünschte Verhaltensänderung sinnvoll ist. Das kann ein Training sein, aber auch z.B. Feedback von verschiedenen Seiten oder Unterstützung durch Mentoren und Coaches o.ä. Es kommt dabei darauf an, sich den Anlass für die Veränderung und das beabsichtigte Zielverhalten klar zu machen. Was dann aber mindestens genauso wichtig ist, ist zu klären, wie die Rahmenbedingungen aussehen, in denen die PE-Maßnahme stattfinden wird. Denn von diesen hängt ab, ob eine PE-Maßnahme erfolgreich ist bzw. welche Wirkung sie erzielt. Wenn ich beispielsweise der Meinung bin, ein Coaching wäre die geeignete PE-Maßnahme, um das Verhalten einer Führungskraft zu verändern, und beachte dabei nicht, dass es im Unternehmen ein Zeichen von Schwäche ist, einen Coach in Anspruch zu nehmen, wird das die Wirkung der Maßnahme begrenzen. Oder wenn ein Unternehmen ein 360°-Feedback durchführt, während gleichzeitig ein großes Rationalisierungsprojekt läuft, sollte man damit rechnen, dass diese PE-Maßnahme unter Umständen zu Aufregung und Besorgnis anstatt zu positiver Verhaltensänderung führt.
Um mit PE-Maßnahmen Verhalten zu ändern, kommt es also darauf an, immer auch die Situation und das Umfeld zu betrachten, in der die Maßnahme stattfinden wird; sonst wird die Wirkung der Maßnahme schnell überschätzt. Das ist zwar eigentlich keine besonders neue Erkenntnis, wird in der Praxis aber doch relativ selten wirklich ernsthaft berücksichtigt.
Frage > Was machst Du wohl in den nächsten 10 Jahren?
Tja, das ist eine gute Frage, mit der beschäftige ich mich auch immer wieder. Ich glaube, dass ich in 10 Jahren nicht mehr ausschließlich für Unternehmen arbeiten werde, sondern mir noch eine zweite Aufgabe suche. Mich im sozialen Bereich oder im Umweltschutz zu engagieren, könnte ich mir gut vorstellen. Vielleicht lässt sich ja sogar beides miteinander verbinden.
Kerstin, vielen Dank für Deine Antworten!
Die vorletzte Frage finde ich sehr interessant. Also ich war schon etwas erstaunt über die Antwort. Denn man kann doch nicht alles verändern. Man kann doch nicht einfach alles so planen und hinbiegen bis man 100 pro damit zufrieden ist. Wir sind Menschen und jeder von uns ist anders und sollte auch individuell behandelt werden. Darum finde ich die ganze Sache etwas übertrieben. Ich muss aber in einigen Ansätzen schon zustimmen, denn gewisse Regeln und Richtlinien sind durchaus sinnvoll und wichtig.