Hering frisst Hai – Lerneffekte aus einer Akquisition

techwnd_72-fresenius-press.jpgMerger und Akquisitionen scheitern sehr häufig. Investoren und Mitarbeitern werden „Synergie-Effekte“ versprochen, doch erstens läuft es anders, und zweitens als man denkt. Bei den Übernahmen von US-Firmen scheitert mindestens jede zweite Übernahme. Das unrühmliche und teure Experiment DaimlerChrysler (1998-2007) ist nur die Spitze des Eisbergs.

Fallstudien von gelungenen Akquisitionen sind eher rar, daher ist der Beitrag der FTD Beilage enable (Juli 2008) über eine transatlantische Übernahme hochinteressant. Es wird geschildert, wie der deutsche Dialyse-Experte Fresenius die fast doppelt so große National Medical Care (Betreiber von Dialysezentren) übernahm; „Hering frisst Hai“ titelte die Presse.

Die Kardinalfehler bei Übernahmen liegen in der Unterschätzung und mangelnden Berücksichtigung der „soft factors“ (immaterielle Faktoren). Es geht also eben nicht in erster Linie um betriebswirtschaftliche Zahlen, wie viele Berater und Manager weis machen wollen, sondern um Kooperation, Akzeptanz und Kultur.

Was hat Fresenius gemacht, um Erfolg zu haben? Dieses sind die Lerneffekte (enable S. 11):

1. Kultur akzeptieren: Viele Amerikaner schrecken zurück vor Chefs aus dem Ausland. Deshalb hat Fresenius die Fusionsgespräche an die eigene Nordamerikatochter delegiert, sodass beide Seiten kulturell und sprachlich auf Augenhöhe waren.
2. Gleiche Rechte: Die Übernahmegespräche werden von Teams geführt, in denen beide Seiten gleich stark und gleichberechtigt vertreten sind. Es geht darum, eine gemeinsame Linie zu finden.
3. Gleiche Chancen: Das Management wird fifty-fifty mit Führungskräften beider Häuser besetzt. Damit wird übernommenen Managern signalisiert: Die Karriere geht weiter. Führungskräfte werden per Handschlag ans Haus gebunden.
4. Kontakt aufnehmen: Führungskräfte von beiden Seiten des Atlantiks müssen sich kennenlernen. Fresenius verpflichtete die deutschen KIinikleiter zu einem USA -Besuch.

Das ist sicher kein Leitfaden für eine erfolgreiche Akquisition, aber für mich wird deutlich, dass Fresenius den „soft factors“ viel mehr Aufmerksamkeit widmet als andere, und dass genau das den Unterschied ausmacht.

Der enable Download ist kostenpflichtig, für FTD Abonnenten kostenfrei.

Die Hotline, die Verrückte macht!

Sich über die Bahn und ihren Kundenservice aufzuregen ist sicherlich keine Heldentat und es gibt neben dem Wetter und den aktuellen Fußball weniges, was einen so unverfänglichen Smalltalkgehalt hat, wie eben die Bahn. Und angesichts von existenzbedrohenden Problemen, die die Bahn eben auch verursacht, ist alles weitere wirklich nur kleines Gerede. Aber im Blickpunkt Kommunikation innerhalb den Grenzen eines Systems, ist nachfolgende Geschichte doch erzählenswert.

Ich kaufe gerne und bequem meine Bahntickets online. Seit einiger Zeit erhalte ich allerdings, wenn ich einen ausgewählten Zug buchen möchte, folgende Fehlermeldung:

„Sehr geehrte Kundin, sehr geehrter Kunde, da Sie das Buchungssystem der Bahn längere Zeit nicht benutzt haben, wurden Sie zu Ihrer eigenen Sicherheit automatisch abgemeldet. Bitte loggen Sie sich wieder ein.
Vielen Dank für Ihr Verständnis.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr bahn.corporate-Team“

Logge ich mich wieder ein, kann ich zwar wie gehabt im System Züge auswählen, allerdings bei wiederholtem Versuch, einen Zug zu buchen, erscheint die obige Fehlermeldung. Ich habe vor geraumer Zeit eine E-Mail geschrieben, die allerdings unbeantwortet blieb. Jetzt brauchte ich diese Woche wieder Tickets, versuchte es wieder und es misslang wieder. Also rief ich bei der für Bahncard Besitzer auf der Webseite angegebenen Hotline-Nummer 01805 340035 an. Klar das war dann mein Fehler. Ich bin zwar Bahncard-Besitzer, aber in meinem Fall ist die Corporate Hotline zuständig.

Also rief ich da an unter 01805 101111. In Manier des Buchbinders Wanninger ging es weiter. „Ach so, das ist aber ein technisches Problem, da können wir nichts machen, rufen Sie doch die von der Technik an!“. Ok, gemacht neue Nummer bekommen und unter 01805 996644 hatte ich jemanden von der Technik dran. „Ah, das kann sein, das das nicht tut, weil sich Ihre Firmenadresse geändert hat, da müssen sie in Berlin anrufen!“

Die Berlinernummer war dann auch eine 01805 und ging mit 213434 weiter. Die erste Dame sagte mir – so mein Eindruck – bevor ich überhaupt etwas schildern durfte, dass sie eh nichts machen kann und leitete mich direkt weiter zu meinem „Personal Corporate Adviser“ (oder so). Dieser Dame erklärte ich auch noch mal mein Anliegen und da wollte sie mich schon wieder „bei der Technik“ anrufen lassen. Zum Glück konnte ich schnell sagen, dass ich ja gerade „bei der Technik“ angerufen habe, die mir sagten, dass ich hier „in Berlin“ meine Adresse ändern lassen soll (?). Daraufhin sagte mir die Dame, dass „das absoluter Schwachsinn“ sei und hier ein ausschließlich technisches Problem vorliege.

„Was ich denn nun machen soll?“ fragte ich und nach dem Ganzen hin und her, bat sie mich eine E-Mail zu schreiben. Das habe ich dann gemacht und bekam auch prompt eine E-Mail zurück:

Von: bahncorporate-online@bahn.de [mailto:bahncorporate-online@bahn.de]
Gesendet: Donnerstag, 12. Juni 2008 11:39
An: ***
Cc: Betreff: www.bahn.de ID[|-133-384189-45c0142-|]

Sehr geehrter Herr Kummermehr,
vielen Dank für Ihren Anruf.
Wir bedauern, dass Sie Schwierigkeiten beim Nutzen unseres online Buchungssystems hatten. Um das von Ihnen beschriebene Problem überprüfen zu können, benötigen wir davon eine möglichst detaillierte Beschreibung. Zunächst empfehlen wir, die Anfrage noch einmal zu versuchen. Sollte der Fehler erneut in Erscheinung treten, können Sie uns gerne erneut kontaktieren.
Teilen Sie uns dann bitte mit, zu welchem Zeitpunkt (Tag/minutengenaue Uhrzeit) Sie Ihre Anfrage versuchten und welche konkreten Eingaben Sie dabei vornahmen.
Schicken Sie uns dazu bitte Screenshots (Bildschirmkopien) der einzelnen Abfrageschritte und die URL der Seite, auf der der Fehler letztendlich erschien.
Für Ihren Hinweis und Ihre Mithilfe möchten wir uns bereits an dieser Stelle herzlich bedanken.

Mit freundlichen Grüßen
Ihr bahn.corporate Online-Team

Das habe ich jetzt auch gemacht, obwohl es sich jetzt auch nicht prima anfühlt, alles zu dokumentieren, wieder in der Pflicht zu sein, etwas zu schicken, nachdem man sein Problemchen jetzt schon gefühlte 10 mal dargestellt hat.

Auf diesem Weg ist nun mein Anliegen. Nicht ganz abstreifen kann ich den Eindruck, dass der Bahn-Kundenservice ein virtuelles Haus ist, das Verrückte macht, so wie wir es aus Asterix erobert Rom kennen.

Zuständig hat sich niemand gefühlt. Schnell war der Satz zur Zunge, dass der/ die Operator Customerservice Agent/in hier nichts machen kann und ich doch eine andere Nummer wählen soll. Wenn man Lust, Laune und Zeit hat, kann man sicherlich den ganzen Tag mit Servicemitarbeitern telefonieren, die einem von der Technik nach Berlin verweisen. Genauso wie meine Fehlermeldung, bei der man automatisch ausgeloggt wird, um sich wieder einzuloggen.

Startup Weekend – Unternehmensgründung an 2 Tagen

Startup Weekend HamburgAm vergangenen Wochenende wurde in Hamburg innerhalb von 2 Tagen ein neues Unternehmen gestartet. Die Veranstaltung nennt sich StartupWeekend und das ist die Idee: An einem einzigen Wochenende mit vielen anderen Gründern gemeinsam ein neues Unternehmen zu starten. Viele haben im Vorwege gesagt, dass das nicht funktionieren kann. Ich war dabei und kann sagen: Ich weiß, dass es funktioniert!

Was ist StartupWeekend?

„StartupWeekend ist ein Bootstrap Network für Gründer und solche, die es werden wollen. Was Open Source für Software ist, soll StartupWeekend für Business sein. Es ist ein Event. Es ist ein Network. Es ist eine Factory. Dabei sollen hands-on Erfahrungen gemacht und praktische Erkenntnisse gesammelt werden. Ein Crossover von Web 2.0 und Young Old Economy.“ (Cem Basman, Initiator)

Wie geht das?

StartupWeekend nutzt die Open Space Methode zur Strukturierung. Die weitere Organisation, wie zum Beispiel die Aufteilung, wer an welchem Thema arbeitet, ist dabei den Mitgliedern selbst überlassen. Ganz wichtig dabei: Es zählen nur die jetzt verfügbaren Ressourcen (Menschen, Kapital, Kompetenzen, Zeit). Also bitte kein „Wir könnten machen, wenn wir 150.000 Euro hätten“ oder so.

Am morgen des ersten Tages haben sich ca. 140 Menschen eingefunden, die mitmachen. Nach einer Einführung in die Spielregeln wurden die Ideen kurz vorgestellt. Wer eine Idee hatte, konnte diese in 3 Minuten kurz vorstellen („pitchen“), ohne technische Hilfsmittel. Da es zunächst nur um die Ideen geht, und nicht um Konzepte, fühlten sich auch weitere Teilnehmer ermutigt und die Schlange der Ideengeber wurde immer länger. Am Ende dieser Vorstellungsrunde waren es insgesamt 19 Ideen. Von diesen 19 Ideen wurden nach Abstimmung die 5 aussichtsreichsten ausgewählt, und davon wiederum 2, die in die konkrete Umsetzung gelangten.

Dann musste aus der Idee ein Konzept geschmiedet werden. Wie sieht das Business-Modell aus? Und dann der Schwerpunkt der Veranstaltung: „Get things done!“. Es wurde gleich damit begonnen, das Konzept umzusetzen. Den ganzen Tag, und zum Teil die ganze Nacht.

Alle, die aktiv an dem Wochenende mitgemacht haben, konnten gleich Mitgesellschafter des Startups werden.

Was kam dabei heraus?

Es wurde an zwei Ideen gearbeitet, aber am Ende des zweiten Tages musste eine Entscheidung getroffen werden, welches der beiden Unternehmen gegründet wird. Nach einer Darstellung der beiden Konzepte in der großen Runde fiel in geheimer Abstimmung die Wahl auf indawo. Applaus, Applaus, Applaus!

indawo (“special places for special moments”) ist eine Plattform für Event Locations. Nutzer können dort Veranstaltungsorte eingeben bzw. finden, sowohl für geschäftliche als auch private Veranstaltungen. indawo ist ein Wort aus der Zulu-Sprache und heißt “Ort”.

Das zweite Projekt ist lockerlernen.de (“(d)eine Note besser”), eine Plattform für (schulisches) Lernen außerhalb der Schule. Schüler können lernen, mit wem, wann und wo sie wollen. Und Tutoren können ihr Wissen mit anderen teilen, entweder 1-zu-1 (Videokonferenz) oder durch Bereitstellen von Inhalten, und damit Geld verdienen. Ich war in dieser Gruppe, und wir haben beschlossen, das Vorhaben nach dem StartupWeekend in eigener Regie weiterzuführen.

Berichterstattung

Tag 1: „Leichte bis mittelschwere Desorientierung”

Tag 2: „Das Finale war spannungsgeladen, turbulent und emotional!“

Mein Fazit

Das war ein tolles, abenteuerliches und kreatives Erlebnis. Und es ist ein interessantes soziales Experiment. Sehr schön zu erleben war hier, dass die Teamergebnisse besser sind als die Idee eines einzelnen.

Alles bestens?

Bei all der Begeisterung und den beeindruckenden Ergebnissen gibt es aber auch noch Verbesserungspotenzial. Diese Punkte greife ich hier heraus: 1. Etwas, worauf die Initiatoren achten können: Die Open Space Philosophie wurde teilweise wieder verlassen (zum Beispiel, anstatt Meinungsverschiedenheiten auszutragen, wurde versucht, in kleinem Kreis mal schnell zu entscheiden); das macht die Sache nicht gerade glaubwürdiger. Formuliert doch einmal, welche Werte (!) es zu achten gilt. 2. Etwas, worauf wir (die Teilnehmer) achten können: Trotz der ad-hoc-Kommunikation zwischen den Gruppen gab es auch Blindleistung, Doppelarbeit und widersprüchliche Entscheidungen. Ich nehme mit, dass wir noch mehr (!) zwischen den Gruppen (z.B. Marketing, Entwicklung, Finanzen, Projektplanung) kommunizieren sollten (hoffentlich denke ich das nächste mal daran). 3. Etwas, worauf einige Teilnehmer achten können: Zuhören! Und nicht so sehr die einmal gebildete Meinung für die beste Lösung halten. Glücklicherweise wird das durch die kollektive Intelligenz auch wieder etwas ausgeglichen, dennoch – Zuhören würde die Ergebnisqualität signifikant erhöhen.

Die Kommunikation des Charlie Wilson

Wie kommuniziert ein Politprofi? Die Antwort gibt uns der von Mike Nichols inszenierte Film „Der Krieg des Charlie Wilson„. Die Kamera ist stets dabei, wenn der von Tom Hanks gespielte Kongressabgeordnete Charlie Wilson sein Ziel – möglichst viel Geld für die afghanischen Rebellen im Kampf gegen die Sowjetunion zu beschaffen – kommunikativ Minute für Minute verfolgt. Da wird sich gegenüber den amerikanischen Botschafter von Pakistan durchgesetzt, er begeistert den Ausschuss-Vorsitzenden Doc Long für seine Idee, noch mehr Geld für die Rebellen bereit zu stellen in eine der skurrilsten Szenen des Filmes (der konservative Politiker ist letztendlich so begeistert, dass er den Rebellen mit Allahu akbar zujubelt) und Wilson überzeugt allen und jeden an allen Ecken und Enden des Plots. Ganz zu schweigen zu den vielen Brücken, denen er zu der von Julia Roberts gespielten Joanne Herring baut.

Kenner des Seminars Positiv Beeinflussen werden ihre Freude bei dem Film haben, die Kommunikations- und Beeinflussungsstile wieder zu entdecken. Dass es im Politikgeschäft nicht nur um Positives beeinflussen geht, sondern hier auch zwischenmenschliche Abhängigkeiten geschaffen werden, manipuliert wird und dass das Wissen über Fehltritte anderer ebenfalls zum Handwerkszeug gehört, lernen wir freilich auch.

Beckmanns gedopte Fragen

In der Fragetechnik sind zwei Hauptarten von Fragen bekannt: die geschlossenen und die offenen. Offene Fragen oder auch W-Fragen (wieso, weshalb, warum …) sind explorativ und führen zu Informationen, die ich vorher nicht habe. Offene Fragen führen zu einem tieferen Verständnis eines Problems. Geschlossene Fragen führen häufig zum Ende einer Diskussion (Haben Sie mich jetzt verstanden?) oder zu einer Vorauswahl (Sind Sie der Entscheidungsträger?). Geschlossene Fragen können sinngerecht nur mit ja oder nein beantwortet werden und helfen ein Gespräch auf wichtige Punkte zu konzentrieren. „Fragen richtig einsetzen“ ist wesentlicher Bestandteil von Kommunikationsseminaren.

Die Fernsehunterhaltung erschuf eine weitere Kategorie von Fragen: Informationsfreie Selbstdarstellungsfragen. Der Fragensteller (der Moderator) beantwortet in einem Monolog die Frage selbst und fragt erst dann den Gast. War das so?

Geglückt aus fragetechnischer Sicht kann man allerdings das Interview von Reinhold Beckmann mit Jan Ullrich nennen. Der hatte am Morgen des gleichen Tages seinen Rücktritt vom aktiven Radsport erklärt. Dopingvorwürfe hinderten ihm im Sommer 2006 bei der Tour d’France zu starten.

Nach anfänglichem Geplänkel legt Beckmann los:

Dann lassen Sie uns mal versuchen einzusteigen. Befürchten Sie, dass die Öffentlichkeit den heutigen Rücktritt als Schuldeingeständnis werten könnte?

Die Fragen sind kurz und er lässt Jan Ulrich reden. Jan Ulrich erwähnt eine Speichelprobe und zack, springt der Tiger Beckmann auf das Thema:

Warum haben Sie die Speichelprobe, Jan, erst so spät abgegeben, warum haben Sie die Speichelprobe nicht unmittelbar (…) abgegeben.

Beckmann zitiert Ulrich und fragt.

Sie haben am 30.6. gesagt, Sie werden Ihre Unschuld beweisen. Danach ist nichts passiert, warum.

Interessante Randnotiz: Ulrich duzt Beckmann, Beckmann siezt Ulrich, sagt aber Jan.
Nachdem Ulrich beteuert, dass er nicht gewusst hätte, wo er die Speichelprobe abgeben soll, dreht Beckmann auf:

Ja, das wissen Sie ganz genau. Das kann nicht der Grund sein.

Das lässt er stehen und lenkt den Fokus auf die Chronologie und zählt alles in einem Filmbeitrag auf: Spanische Antidrogen-Einheit, Fuentes, Ermittlung gegen Ulrich, Blutreserven mit der Aufschrift Jan, Strafanzeige, Staatsanwaltschaft Bonn, außerordentliche Kündigung von T-Mobile, Durchsuchungen von Ulrichs Haus,…

Ulrich ist nun unter Druck, Beckmann bleibt ruhig. Nach Ulrichs Meinung ist die Geschichte so falsch dargestellt. Beckmann bleibt kühl:

Gut, dann fangen wir an die Geschichte so darzustellen, wie es Ihrer Meinung nach richtig ist. Wir haben Zeit genug.

Sein Untertitel ist: Hier ist noch lange nicht Schluss und wir reden nicht über Deinen Frau und nicht über Deine Tochter, sondern über die Dopingsache.

Wieder lässt er Ulrich reden. Ulrich leidet nun sichtlich und benutzt Kraftausdrücke. Wiederholt und hartnäckig fragt Beckmann, „begrüßen Sie es, dass die Speichelprobe nun abgeglichen wird.“ Beckmann ist jetzt ein Terrier. Ulrich ist angeschlagen. Er lässt lange Pausen, sagt häufig „jetzt aber ganz ehrlich“. Im Hintergrund hört man Beckmann „ja“ und „mhm“. Ulrich soll also weiterreden und er leidet und dann wieder ein „mhm“. Ulrich wiederholt, er wolle jetzt auf seine Anwälte hören, und nichts sagen, aber Beckmann schafft es, dass Ulrich weiterredet.

Gelegentlich will Beckmann formulierte Unschärfen von Ulrich genauer Wissen.

Was heißt es, dass es in Spanien ordentlich funktioniert?

Das wirkt wie ein Hieb.

Beckmann führt nun Zeugen an. Ein T-Mobile Pressesprecher hätte ihn mehrfach angewiesen, einen DNA-Schnelltest zu machen, warum sei Ulrich nicht darauf eingegangen. Beckmann führt also weitere „Zeugen“ mit in das Gespräch ein. Hier bleibt Beckmann am Ball, er fragt nach, „hat er ihnen das vorgeschlagen“ und dann macht Beckmann auf unverständlich:

Das wäre doch ein Befreiungsschlag für Sie gewesen. Ich habe nicht gedopt, ich kann einen Speicheltest abliefern (…) Hätten Sie das gemacht, wäre das ein Befreiungsschlag gewesen.

Dann spielt er den lieben Onkel und unterbricht ein Abwehrversuch von Ulrich mit:

Wir versuchen, es ja zu verstehen, warum sie sich nicht selbst befreit haben.

Beckmann lädt Ulrich ein, sich in andere hineinzuversetzen und lockt ihn so aus seiner Defensive.

Aber Jan, können Sie nachvollziehen, dass der Eindruck der an Indizien draußen da ist für den neutralen Beobachter so ist, dass es einen Kontakt gegeben haben muss.

Und jetzt fühlt sich Beckmann richtig sicher und holt noch mal zu einer Zwischencharme-Offensive aus:

Im Grunde genommen sind wir da, Jan, auch Fans. Wir haben alle da vor der Glotze gesessen, am Straßenrand, und haben gedacht, Mensch, was für ein außergewöhnlicher Sportler, was für ein Jahrhunderttalent.

Ulrich nickt. Leider reine Ablenkung, Jan. Beckmann verbindet Wahrheit und Fans, um dann seine Frage zu stellen:

Die Fans sagen, der soll uns doch die Wahrheit sagen, dafür lieben wir ihn doch. Sind Sie Ihren Fans das nicht schuldig?

Beckmann zitiert also Ulrich selbst, zitiert Zeugen, listet alle Anschuldigungen auf, lässt einen Dopingexperten sprechen, bietet sich als Helfer Ulrichs an und argumentiert aus Sichtweise der Fans. All das bringt Ulrich sichtlich unter Druck. Er leidet. Oder wie es Juan Moreno in der Süddeutschen formulierte:

Vor allem ist Jan Ulrich aber jemand, der am Montag gelernt haben dürfte, dass man keinen Berg braucht, um sich zu quälen, dass es weh tut. Manchmal reichen auch ein Fernsehstudio, 75 Minuten Zeit und Reinhold Beckmann.

I have a dream – als Fallbeispiel

220px-martin_luther_king_-_march_on_washington.jpgIch habe im vorhergehenden Beitrag eine Aufzeichnung der berühmten Rede von Martin Luther King, jr. („I have a dream“) eingestellt. Und ich bin der Meinung, wir können von King und seinen rhetorischen Fähigkeiten eine Menge lernen.

Was also macht diese Rede so kraftvoll? Und wie können wir davon für unsere eigene Kommunikation profitieren?

Howard Gardner, Kognitionspsychologe und Harvard Professor, Psychologen bekannt für seine Theorie der multiplen Intelligenzen, nennt folgende Erfogsfaktoren für eine gute Rede: „the story must be simple, easy to identify with, emotionally resonant, and evocative of positive experiences“. Wenden wir diese Kriterien auf die Rede von M.L. King an, dann stellen wir fest, dass alle Erfolgskriterien da sind. Die Rede ist:

Einfach – für jeden zu verstehen. Jeder kapiert, um was es geht.
Inspirierend – eine große Idee wird vermittelt.
Emotional – die Rede verzichtet auf sachlogische Argumentation, setzt stattdessen auf emotionale Ansprache und Begeisterung.
Positiv – ein positiver Zukunftsentwurf wird anschaulich gemacht.

Nun, wir sind vielleicht Papst, aber wir sind nicht King. Wie kann man das umsetzen? Ich meine, konkret. Wie können wir das umsetzen, wenn es um eine Angelegenheit aus unserer eigenen Lebenswelt geht? Nehmen wir an, du möchtest deinen Partner für ein bestimmtes Urlaubsziel begeistern, das der gar nicht auf dem Zettel hatte. Oder eine Führungskraft möchte einen Mitarbeiter dafür gewinnen, ein Jahr für die Firma nach China zu gehen (und für den Mitarbeiter kommt das eher überraschend). Oder ein Verkäufer möchte einem Kunden etwas verkaufen, was für den Kunden eine große Investition bedeutet.

Wenn wir andere für eine Idee oder ein Vorhaben beigeistern wollen, dann sind folgende Elemente besonders wichtig (ich verknüpfe hier Teile des Programms Positiv Beeinflussen mit der Rede von M.L. King):

1. Wir beziehen uns auf eine Gemeinsamkeit. Und auf dieser Gemeinsamkeit können wir aufbauen. King formt aus den Demonstranten eine Gemeinschaft. Er holt die Menschen in’s Boot und setzt das gegenwärtige Beisammensein in einen zeitlichen Zusammenhang („the greatest demonstration for freedom in the history of our nation“). Er schildert eine gemeinsame historische Erfahrung und die aktuelle Situation („100 years later“, „we can never be satisfied“). Er spricht gemeinsame Werte an („declaration of independence“ – die kennt wirklich jeder Amerikaner).

2. In der Regel wollen wir ja, dass jemand etwas Bestimmtes tut oder ein Verhalten ändert. Wir nennen also unser Ziel. King nennt das Anliegen und den Grund für die Zusammenkunft: Es geht darum, Gerechtigkeit einzufordern („cash this cheque“, „now is the time“).

3. Wir bieten eine Vision. Das machen wir, indem wir eine Situation so beschreiben, als wäre sie schon Realität. Diese Phase leitet King ein mit der berühmten „i have a dream“-Sequenz („i have a dream“, „justice rolls down like water“, „we will be able“, „free at last“).

Durch diese Elemente wird die Rede in ihrer Wirkung: Inspirierend, emotional und positiv.

Nehmen wir an, du fühlst dich inspiriert, diese Ideen selbst anzuwenden. Dann laß die Rationalität und Logik einfach mal beiseite. Stattdessen, habe das große Ganze im Auge. Frage dich, was diese drei Elemente für dein eigenes Anliegen bedeuten. Was ist überhaupt dein Anliegen? Was sind Gemeinsamkeiten, auf die du Bezug nehmen kannst? Wie sieht, möglichst anschaulich, deine Wunsch-Situation aus?

Dieses „Begeistern“ ist natürlich nicht in jeder Situation geeignet, aber doch in vielen Situationen ein sehr effektiver Stil.