Wenn es um Spielregeln für das gemeinsame Arbeiten geht, dann stehen zwei Werte hoch im Kurs: Ehrlichkeit und Respekt. Die meisten Menschen werden wohl zustimmen, dass die Kommunikation ehrlich und der Umgang miteinander respektvoll sein sollte. Also können wir uns schnell darauf einigen und schreiben das schön in unser Unternehmensleitbild oder Führungsleitbild.
Jedoch, wenn es konkret wird, kann hier ein Dilemma entstehen. Wie kann ich ehrlich sein und gleichzeitig respektvoll, wenn z.B. jemand etwas sagt und ich denke „das ist doch völliger Blödsinn“. Es kommt mir dieser Gedanke, es ist einfach so. Nun was? Welche Möglichkeiten habe ich?
1. Ich platze damit heraus und sage „das ist doch völliger Blödsinn!“. Viele Manager reden so, und das mag stark klingen, ist es aber nicht. „Dieser Report ist Schwachsinn!“, „das ist eine idiotische Idee!“, „das war Scheiße!“ (allenfalls bei DSDS Dieter Bohlen ist das unterhaltsam). Diese markigen Worte sind scheinbar ehrlich und geradeheraus, aber sicher nicht respektvoll. Diese Reaktion wird unweigerlich zum offenen oder verdeckten Konflikt führen. Ein produktiver Verlauf des Meetings ist wenig wahrscheinlich, nachdem jemand so etwas gesagt hat. Und weiterhin: Es ist noch nicht einmal ehrlich. Wenn ich einfach sage, was mir in den Sinn kommt („das ist Blödsinn!“), dann ist das *nicht* wirklich ehrlich. Denn es ist eine Meinung, kein Fakt. Um eine wirklich ehrliche Aussage zu machen, benötigt es mehr Fertigkeiten.
2. Ich schweige. Oder, das ist ähnlich, ich sage etwas, was ich nicht wirklich meine, z.B. „hmhm, klingt durchaus interessant“. Dann bin ich „respektvoll“. Damit stoße ich niemanden vor den Kopf. Aber ich bin ja nicht wirklich ehrlich; ich sage nicht, was ich denke. Und das ist möglicherweise ein Problem für die Teameffektivität, z.B. weil andere annehmen, ich stimme zu, obwohl ich das nicht tue. Und weiterhin: Ich bin auch *nicht* wirklich respektvoll, weil ich die nötige Auseinandersetzung vermeide.
Beide Möglichkeiten sind sehr häufig zu beobachten. Aber der Punkt ist: Wenn wir uns bemühen, ehrlich *und* respektvoll zu kommunizieren, dann kommen diese beiden Möglichkeiten nicht in Frage.
Damit sind wir bei Möglichkeit Nummer 3. Ich bringe zum Ausdruck, was mich stört, ohne andere respektlos zu behandeln. Das erfordert mehr Fertigkeiten als die Möglichkeiten 1 und 2. Zum Ausgangspunkt: Es äußert jemand eine Idee und ich denke „Blödsinn!“. Dann könnte ich beispielsweise sagen „dieser Vorschlag gefällt mir nicht… Ich erwarte stattdessen…“ (energisches Durchsetzen-Statement) oder „dieser Vorschlag hat aus meiner Sicht folgende Nachteile… Ich habe eine andere Idee…“ (sachliches Überzeugen-Statement). Ich vertrete also ehrlich die eigene Position und beziehe Stellung. Gleichzeitig behandle ich meine(n) Gesprächspartner respektvoll. Das nennen wir „positiv beeinflussen“: Die eigenen Ziele vertreten und gleichzeitig die Beziehung stärken.
Nun, könnte man nicht sagen: „Aus meiner Sicht stimmt das nicht.“ Respektvoll, ehrlich und mit geringstmöglicher Einflussnahme? Aber vielleicht will ich ja mehr Einfluss haben:
Vor der Einflussnahme steht aus meiner Sicht das gegenseitige Verstehen einerseits und die Klärung meiner Absicht andererseits. Wenn es nur darum geht, einen ungeeigneten Vorschlag abzuwimmeln, könnte mein genannter Satz reichen – abhängig von der eigenen Glaubwürdigkeit. Wenn das Ziel Verständigung ist, muss ich sicherlich detaillierter Farbe bekennen. Möchte ich aber einen eigenen Vorschlag durchbringen, den ich für besser halte, dann muss ich mich mit dem Beeinflussungs-Instrumentarium herumschlagen.
Mir fehlt noch eine griffige Anleitung, wie Beeinflussung ehrlich und respektvoll öffentlich (!) stattfinden könnte. Weder Unternehmen noch Politik geben bisher gute Beispiele für diese Tugenden ab. Insofern stehe ich hinter Gentinex‘ Idealen, befürchte aber, dass weiterhin der Geist zwar willig, doch das Fleisch zu schwach sein wird. Wo es um Einfluss geht, geht es auch um Macht. Vielleicht findet sich ein Weg, Einfluss zu nehmen durch Verzicht?
Hallo Henning, danke für den Kommentar.
Klar kann man sagen „Aus meiner Sicht stimmt das nicht“. Ich würde dann eine Erläuterung oder Begründung erwarten, aber es ist auf jeden Fall ok. Das gehört für mich zu Möglichkeit Nummer 3. Wenn alle cool sind – und erst denken, dann reden – in diesen Fällen haben wir weniger ein Problem mit den Möglichkeiten 1 und 2.
Macht? Wir müssen „positive Beeinflussung“ und „Machtausübung“ auseinander halten. „Machtausübung“ mit Aggression und Druck ist negative Beeinflussung. Negative Beeinflussung ist aber mit sehr hohen Kosten verbunden, nämlich mit der Beschädigung von Beziehungen. Deshalb warnen wir davor. Dagegen, wenn man mit positiver Beeinflussung für seine Ziele einsteht, dann ist das förderlich für die Beziehung und gleichzeitig produktiv.
Einfluss nehmen durch Verzicht? Das klingt für mich etwas befremdlich, und ich möchte klarstellen, dass ich „Vermeiden“ einer nötigen Auseinandersetzung nicht für produktiv halte. Ich bin allerdings ziemlich sicher, dass das nicht gemeint ist. Vielleicht ist damit gemeint, was wir als „Zug-Energie“ beschreiben. Man kann in der Kommunikation Schub-Energie ausüben (den anderen dort hin schieben) oder Zug-Energie (den anderen von sich aus kommen lassen).
Wir werden uns weiter um diese Fragen kümmern, darüber schreiben, und auch Tipps abgeben, versprochen.