Führungskräfte müssen authentisch sein! So schreit es uns entgegen, aus Büchern, Fachzeitzschriften, Internetbeiträgen, und in Seminaren. Wenn man fragt, was Authentizität denn bedeutet, so ist die Rede von „Echtheit“. Echtheit widerum wird nicht weiter erläutert, das muss schon reichen, klingt ja auch gut. Sei authentisch und du wirst Erfolg haben! Sei einfach du selbst und alles wird gut! Das ist genau der „Mythos Authentizität“ [Link entfernt], den Rainer Niermeyer entlarvt. Ich kann ihm nur zustimmen.
Wenn wir wirklich immer „authentisch“ wären, in jeder Situation (angeblich) ganz wir selbst, völlig spontan und ungefiltert, eben „echt“, dann lebten wir ständig in einem sozialen Krisengebiet. Und das wäre ziemlich anstrengend. Tatsächlich ist es so, dass wir bestimmte Rollen einnehmen und uns in bestimmten Situationen rollenkonform verhalten. In der Regel verbiegen wir uns dabei nicht, sondern fühlen uns durchaus als „wir selbst“, nur leben wir eben einen bestimmten Teil unserer Gesamtpersönlichkeit, zum Beispiel als Partner, Vater/Mutter, Freund/Freundin oder Führungskraft. „Rollen zu spielen ist also nicht per se gut oder schlecht, sondern schlicht unvermeidbar“ (Niermeyer).
Und es ist geradezu paradox: Gerade denjenigen, der seine Rolle besonders gut spielt, den halten wir für authentisch. Angela Merkel ist ein anschauliches Beispiel dafür, wie der Mensch hinter einer glaubwürdigen Rollendarstellung zurücktritt. Selbst das wenige, was wir aus ihrem Privatleben erfahren, ist inszeniert. Sie spielt Ihre Rolle souverän – und hat Erfolg. Wenn es nach den Authentizitätsaposteln ginge, wäre Sie garantiert nicht Bundeskanzlerin. Umgekehrt ist es vielmehr so: Wer aus der Rolle fällt (!), den bestraft das Leben. Ein naiver Authentizitismus kann also nicht die Lösung für unsere Orientierungslosigkeit oder die Antwort auf unsere Echtheits-Sehnsüchte sein, er würde nur Egomanen produzieren.
Niemand entkommt diesem Spannungsfeld zwischen Authentizität und Rolle. Wir wollen wir selbst sein – gleichzeitig ermöglichen es uns gerade die Rollen, uns auszuprobieren und neue Wege zu gehen. Wir müssen bestimmte Erwartungen erfüllen, die an uns gestellt werden – aber es ist ungesund, wenn dauerhaft gespielte Rollen nicht durch die dahinterstehende Person gestützt werden.
Wie also können Sie damit umgehen? Ich empfehle Ihnen, sich Ihre Rollen bewußter zu machen und die Rollen aktiv zu gestalten. Es geht darum, die eigenen Werte und das eigene Verhalten in Übereinstimmung zu bringen. Damit gewinnen Sie Klarheit und Souveränität. Das Buch von Rainer Niemeyer kann Ihnen dafür erste Anhaltspunkte liefern. Speziell für Führungskräfte habe ich ein Training entwickelt, dass Führungsrollen aufzeigt, die eigene Rollenkompetenz fördert, und Führungsrollen in eine eigene Kommunikationsstrategie schlüssig integriert: Leader moves! – Führung, die bewegt. [Link entfernt]
Ich kann nur einem Satz voll zustimmen: „Es geht darum, die eigenen Werte und das eigene Verhalten in Übereinstimmung zu bringen.“ Darum geht es. Jederzeit. Ich muss jedoch nicht laufend Erwartungen erfüllen. Habe ich Erwartungen mit meinem Kunden abgestimmt, abgeglichen, „muss“ ich nichts erfüllen. Und wenn ich mir meiner diversen Rollen und dem „Spiel“ damit bewusst und damit im Klaren bin, hilft das ungemein. Wenn Werte und Haltung Basis für mein Tun ist, merkt das mein Gegenüber. Das schafft Vertrauen. „Echt“ bin ich, und werde auch so wahrgenommen, wenn ich rund bin. Dazu gehört, dass ich mir meiner Widersprüche bewusst bin und damit leben kann. Wenn ich also natürlich bin. Ich mag es nicht, mit Menschen zu tun zu haben, die nur ihre Rollen spielen und nicht heraustreten können. Diese trennen zudem zwischen dem, was man privat und geschäftlich nennt. Wie will man da Geschäfte machen und sich selber noch in die Augen schauen? Das scheint mir anstrengend. Es scheint eine Kunst zu sein, mit all den Paradoxien, dem Widersprüchlichen klarzukommen und man selbst zu sein. Es ist ein Abenteuer. Eine Vorbereitung auf neue Zeiten könnte sein: mehr spielen! Mit Vorstellungen, wer man denn ist, mit Rollen, Identitäten und Regeln.
Es ist verführerisch, sich in diesen verwirrenden Zeiten an die vermeintlichen Sicherheiten des Status Quo zu klammern. Und sich auch noch dieses Buch zu kaufen.
Danke für deinen Kommentar, Maurice. Der erste Satz scheint eine Kritik zu beinhalten. Der gesamte Kommentar liest sich für mich jedoch eher als Bestätigung des Beitragsinhaltes. Das von mir angesprochene „Spannungsfeld“ ist in deinem Kommentar schön beschrieben.
Ich finde beide Extreme ungünstig: Sowohl das ausschließliche Spielen einer Rolle als auch naiver Authentizismus. Wenn das Entweder-Oder abgelegt ist, öffnet sich freier Raum für Bewusstheit.
Dazu noch ein Zitat aus dem Buch: „Die eigentliche Schlüsselfrage des ‚Sei du selbst!‘ wird von Authentizismusenthusiasten oft gar nicht gestellt: Was macht denn dieses Selbst aus, das da nach außen gekehrt werden soll?“
ja, darüber muss ich nachdenken, was dieses Selbst denn tatsächlich ausmacht. Was auch immer es ist, es braucht nicht nach aussen gekehrt werden, es ist ja immer da.
Gerald, „naiver Authentizismus“, was ist das denn nun für ein neuer Begriff? 😉 Ich brauche jetzt etwas Zeit, mich mit diesen Konzepten zu beschäftigen.
Ich möchte Authentizität sprachlich abgrenzen von dem, was als „naiver Authentizismus“ bezeichnet wurde. Wobei der naive Authentizismus für mich leichter zu erklären ist. Der naive Authentizismus ist eine Art Ideologie, die sagt: „Sei du selbst, das ist ganz einfach, und dann bist du zwangsläufig erfolgreich!“ Das klingt erstmal gut (so einfach ist das also, warum bin ich nicht früher darauf gekommen?), aber es ist eine Falle. Erstens, wir spielen Rollen, das ist Fakt. Im Vorstellungsgespräch verhalten wir uns so, wie wir denken, dass wir uns in einem Vorstellungsgespräch verhalten sollten, damit es für uns gut läuft. Auch wenn wir vielleicht gerade einen Impuls haben, etwas ganz anders zu tun. Im Restaurent verhalten wir uns wie in einem Restaurant. Wenn wir mit unserem Kind sprechen, sprechen wir anders als mit unserem Vorgesetzten, usw. Kurz, wir verhalten uns in vielen Situationen rollengerecht, und das ist gut so. Zweitens, es ist eben nicht einfach, man selbst zu sein. Das ist ja eine Lebensaufgabe. Drittens, wer aus der Rolle fällt, der wird mindestens schräg angesehen, möglicherweise abgestraft, und hat letztlich weniger Erfolg. Wer seine Rollen annimmmt und glaubwürdig agiert, der kann Erfolg haben. Und viertens, man müsste natürlich wissen, was für einen selbst „Erfolg“ überhaupt bedeutet, und wie wichtig dieser Erfolg nun wirklich ist. Es ist also alles andere als „einfach“, daher finde das Label „naiv“ hier angemessen.
Meiner Meinung nach scheint es in dem Buch darum zu gehen: Erfolg rechtfertigt die Mittel. Die These bedient das Modell des herkömmlichen Denkens, das uns genau die Probleme geschaffen hat. Sich zu verbiegen, sich anzupassen, um einen bestimmten Erfolg im Aussen zu zielen. Die Folgen davon werden nicht betrachtet: Burn out, Depressionen, Angststörungen sind nur ein paar Beispiele davon. Den wirtschaftliche Nutzen sehe ich da nicht.
Auch die zunehmende Tendenz im Management aus den bisherigen Strukturen auszusteigen und etwas Sinnerfüllendes zu tun, damit auch seine Werte und seine Authentizität auszudrücken erscheint in der kurzsichtigen Betrachtungsweise nicht ausreichend relevant zu sein.
Ich finde es ist Ausdruck von Ignoranz, einem Menschenbild das typisch ist für Management. Es wird wie bisher nur kurzfristig gedacht. Offenheit, Klarheit und Achtsamkeit sind ohnehin Fremdwörter, denn um diese zu füllen, erfordert es Prozesse zur Selbstreflexion, Meditation und einer Haltung die den Menschen und ihrer Entwicklung dient. Dann ist es auch möglich authentisch zu sein und dem folgend zu leben. Dies ist bestimmt kein einfacher Weg und erfordert ein hohes Maß an Offenheit zu sich selbst. Alles andere bewahrt nur die Alten Denkstrukturen und die sind nicht zukunftstauglich.
Es kann sein, dass ein Schein entsteht, den der Verfasser nicht beabsichtigt oder aber in Kauf nimmt, wenn er empfiehlt, sich den Codes der „relevanten Bezugsgruppe“ anzupassen. Aber das ist nicht der Kerninhalt. Ich habe das Buch nicht so verstanden, dass Rainer Niermeyer propagiert „Der Erfolg rechtfertigt die Mittel“. Im Buch ab Seite 186 gibt es ein Kapitel „Der Preis des Rollenspiels“, worin diese Frage aufgeriffen wird. Wenn das Rollenspiel in übertreibender Entwertung (vgl. Schulz von Thun) zur professionellen Deformation wird, dann ist das in der Tat ein Problem. Da gibt es keine zwei Meinungen. Aber, wie Niermeyer treffend schreibt: „Die déformation professionelle ist nicht automatische Folge eines wohl überlegten Rollenspiels (wie Authentizitätsverteidiger irrtümlich unterstellen), sondern ein Indiz für einen Mangel an Selbstreflexion und bewusster Selbststeuerung.“ und er nennt „ein wirksames Gegenmittel: die Besinnung auf die eigenen Kernwerte“. Ich stimme dem zu – ich lebe jedoch auch gerne damit, dass es andere Ansichten gibt. Danke für deinen Kommentar, Thomas.
Wenn das Spielen von Rollen lernen verhindert, ist jede Rolle nur eine Egohülle. Innen leer. Kommen zwei oder mehr Personen zusammen, die lediglich Rollen spielen, findet kein menschlich wirksamer und nachhaltig eindrucksvoller Kontakt statt. Vertrauen aufzubauen gelingt nur durch bewusste Nähe.
Ich für mich sehe es so: Eine Rolle ist für mich eine bewusst gewählte „Hülle“ oder ein gestecktes Terrain, das ich wähle. Z.B. für eine konkrete Aufgabe. Ich moderiere einen Abend vor 150 Zuschauern. Hier werde ich, um einen exzellenten Job zu machen, die Dinge tun und von mir zeigen, die insbesondere wichtig sind, um meinen Job exzellent zu tun. Klare Sprache, konzentrierter Auftritt, klarer Struktur folgen, Blick in die Moderationskarten, deutlich sprechen, das Mikro professionell vor den Mund nehmen usw. Ich werde also nicht alle Fassetten meiner Persönlichkeit hier im Scheinwerferlicht zeigen, da sie hier nicht gebraucht werden. Weder werde ich über sexuelle Präferenzen sprechen, noch meine komödiantischen Fähigkeiten allzusehr herausstellen. Wenn, nur einen angemessenen Teil davon, dort, wo ich es gerade für angebracht halte aufgrund meines Auftrags. Auf jeden Fall bleibe ich hier voll und ganz Maurice Morell mit jeder Faser, dafür werde ich bezahlt. Gehe ich danach auf den Kiez, bin ich immernoch Maurice Morell voll und ganz. Tanze ich auf den Tischen, treten ganz andere Fassetten hervor. Bin immernoch MM bis in die letzte Faser.
Was ich hier bildhaft betone: Rolle ist selbst gewählt, nach Aufgabe und Situation und ich bin trotzdem ganz echt und authentisch, das merkt Mensch. Alles andere ist anstrengend, verquerend, verstellend, für mich nicht durchführbar. Ich beweise es Dir gern, lass uns mal tanzen gehen.
Jetzt fühle ich mich verstanden.
Dies ist als Anregung („Provokation“ im positiven Sinn) zu verstehen – Niermeyer würde sagen: Du spielst deine Moderatoren-Rolle so gut, dass du authentisch wirkst.
Nein, das ist missverständlich! Ja, nur in dem Sinne verstanden, wenn ich eben gut *wirken* kann(im Sinne von tun, erschaffen), dadurch, dass ich authentisch BIN. Gerald, ich glaube, wir müssen jetzt doch mal ein Bier trinken und auf dem Kiez möglichst authentisch tanzen gehen!
Ich habe jetzt schon mehrfach von dem Buch gehört und es wurde mir schon von 2 bekannten ans Herz gelegt.. jetzt hab ich ein bisschen im Internet danach gesucht und bin auf deine Seite gekommen – und jetzt hab ichs mir gekauft. Vielen Danke für den guten Bericht über das Buch, ich bin mal gespannt wie sichs liest und wie es mir weiterhilft.
Vielen Dank für diesen ausführlichen Beitrag! Ich habe mir nach dem Lesen auch dieses Buch bestellt und bin schon ganz gespannt.
ja, darüber muss ich nachdenken, was dieses Selbst denn tatsächlich ausmacht. Was auch immer es ist, es braucht nicht nach aussen gekehrt werden, es ist ja immer da.