Positive Psychologie – ein Interview mit Prof. Lars Fend

Der Vorwurf, die Psychologie kümmere sich nur um Störungen und abseitiges Verhalten, wird von den Positiven Psychologen entschärft. Ihre Fragestellungen sind, wie schaffe ich es mit Enthusiasmus zu leben ohne auszubrennen, wie funktionieren gesunde menschliche Beziehungen und wie mache ich das denn, einfach glücklich zu sein. Um das ein oder andere Mal verhilft die Positive Psychologie den Zeitschriften auch zu Titelstories. Vor kurzem machte der Stern mit „Der geheime Code der Liebe!“ auf.

Also wie funktioniert das mit dem glücklichen, erfüllten Leben ohne Esoteriker sein zu müssen? Fragen, die ausgerechnet Martin Seligman nachhaltig beschäftigen, der in den 60er Jahren mit seiner depressiv machenden „Theorie der erlernten Hilflosigkeit“ bekannt geworden ist. Heute ist er weltweit der Protagonist der Positiven Psychologen.

In Deutschland ist Prof. Dr. Lars Fend der Ansprechpartner für das Thema. Er ist neben seiner Lehrstuhltätigkeit als Management-Berater für mehrere DAX-Unternehmen im Einsatz. Ich hatte Gelegenheit ihm einige Fragen zum Thema zu stellen.

Wie definieren Sie „Positive Psychologie“?

Die Positive Psychologie lässt sich verstehen als die wissenschaftliche und praktische Auseinandersetzung mit der Frage, wie Menschen ihre Potenziale entdecken und entwickeln können, um als Individuum und auch als Gruppe glücklicher und erfolgreicher zu leben – sowohl im beruflichen wie privaten Alltag.

Welche Erkenntnisse der Positiven Psychologie setzen Sie persönlich in Ihrem Arbeits- und Lebensalltag ein?

Nun, ich wende je nach Situation verschiedene Erkenntnisse an. Es gibt ja sehr zahlreiche – je nach Kategorisierung über vierzig –, wissenschaftlich bereits untersuchte „Interventionen“, aus denen es die passendsten auszuwählen gilt. Ein Beispiel: Wenn ich im normalen Alltag unzufrieden, mich überfordert oder unglücklich fühle, führe ich z.B. ein Dankbarkeitstagebuch, praktiziere Achtsamkeit und suche unterstützende soziale Kontakte mit Freunden. Meist ist es ja ein Mix aus verschiedenen, geeigneten Maßnahmen, mit denen subjektives Wohlbefinden wirksam verbessert werden kann.

Kann man aus der Positiven Psychologie umsetzbare Anweisungen zu Denk- und Verhaltensweisen ableiten? Wenn ja, welche?

Ja, dies ist für jeden Menschen in diversen Situation sehr gut möglich.
Erste Beispiele habe ich eben genannt. Weitere sind z.B. klare Ausrichtung an wertvollen Zielen, die Momente des täglichen Glücks auskosten, Vergebung praktizieren, den Umgang mit Stress verbessern usw.
Bevor konkrete Denk- und Verhaltensweisen oder -änderungen angewendet werden erscheinen mir allerdings zwei Aspekte besonders erfolgsentscheidend:
Erstens, es gilt diejenigen Denk- und Verhaltensweisen auszuwählen, die zu der jeweiligen Person bestmöglich passen. Einem Menschen, der keinen Sport mag, sportliche Betätigung zu empfehlen macht wenig Sinn. Auch wenn Sport mehrfach wissenschaftlich als geeignete Intervention bestätigt wurde, um subjektives Wohlbefinden zu steigern.
Zweitens: Die Denk- und Verhaltensweisen müssen methodisch richtig eingesetzt werden, um tatsächlich die beste und gewünschte Wirkung zu erzielen. Dies ist ähnlich wie bei Medikationen – auf das richtige Mittel und die richtige Dosierung kommt es an. So zeigen Studien, dass das Schreiben von Tagebüchern vor allem bei denjenigen Menschen zu mehr Glücksempfinden führt, die beim Aufschreiben von Tagesereignissen reflektierend lernend schreiben. Also Formulierungen wie „Jetzt wird mir klarer“ oder „daraus habe ich gelernt…“ verwenden. Welche konkreten Denk- und Verhaltensweisen am wirksamsten sind, ist in den meisten Fällen von der jeweiligen Person abhängig.

Ist es möglich sein Denken – beispielsweise die Abkehr von sozialen Vergleichen – zu trainieren? Wenn ja wie?

Ja – und soziale Vergleiche sind natürlich ein weiteres wichtiges und interessantes Thema. Als ich begann, mich vor über 15 Jahren mit Positiver Psychologie zu beschäftigen dachte ich, dass es für mich u.a. hilfreich sei, mich sozial mit „Schwächeren“ (was immer dies ist) zu vergleichen. Dies in der naheliegenden Hoffnung, mich dann besser zu fühlen. Und gleichzeitig den Vergleich mit „Stärkeren“ (was immer dies ist) zu vermeiden. Und dieser Ansatz ist sehr vielen Menschen natürlich vertraut. Wirkt dies? Mit Einschränkungen und vor allem: nur kurzfristig. Im Hinblick auf nachhaltiges, subjektives Wohlbefinden und langfristige Zufriedenheit sind soziale Vergleiche eher suboptimal.
Interessant hierbei ist das Ergebnis einer Studie, die dieses Phänomen aufgreift und zu dem Ergebnis kommt, dass diejenigen Menschen am glücklichsten sind, die keine sozialen Vergleiche anstreben! Das heißt nicht, dass man soziale Unterschiede nicht erkennt. Die glücklicheren Menschen hatten allerdings ihre eigenen Standards, an denen Sie sich gemessen haben – im Gegensatz dazu, die eigene Gefühlslage durch die Leistungen und Urteile anderer beeinflussen zu lassen.
Wie kann man dies trainieren? Unter anderem durch Achtsamkeit gegenüber den eigenen Denk- und Verhaltensmustern. Immer wenn ich mich sozial vergleiche, was immer seltener der Fall ist, mache ich mir die Wirkungen bewusst und konzentriere mich z.B. auf die Frage, was mir in dieser Situation, nach meinen eigenen Standards, wesentlich erscheint.

Wo hat die Positive Psychologie bereits einen Nutzen für die Arbeitswelt gebracht?

Zwei aus meiner Sicht besonders relevante Bereiche sind zum einen die Entwicklung und der Einsatz von individuellen Stärken, die Mitarbeiter in neuen Gebieten für sich und das Unternehmen einsetzen können. Dazu gibt es zurzeit weltweit drei anerkannte Tests, wobei die Ergebnisauswertung nur der erste Schritt sein kann. Danach gilt es v.a. zu diskutieren, wo und wie diese Stärken noch besser oder mehr eingesetzt werden können. Ein anderes wichtiges Feld ist das Gebiet der „Resilienz“ bzw. der Umgang mit Stress.
Also auf enttäuschende, aber auch sehr herausragend positive Situationen
(Beförderungen) angemessen einzugehen, um nachhaltig erfolgreich zu sein – und weiterhin insgesamt ein hohes subjektives Wohlbefinden zu empfinden.

Wo sehen Sie in der nahen Zukunft weitere Anwendungsfelder der Positiven Psychologie?

In der Zukunft sehe ich vermehrt Anwendungsfelder im Bereich der Schul- und Hochschulausbildung, im Bereich „Management and Leadership Education“ und auch auf volkswirtschaftlicher bzw. gesellschaftlicher Ebene, wenn z.B. „Gross Domestic Happiness Indices“ oder „National Accounts of Well-Being“ ermittelt und verglichen werden – und daraus Programme und Maßnahmen zur Steigerung des subjektiven Wohlbefindens von Gemeinschaften und Gesellschaften abgeleitet werden.

Kontakt zu Prof. Fend finden Sie hier >>>.

4 Antworten auf „Positive Psychologie – ein Interview mit Prof. Lars Fend“

  1. Ein sehr interessantes Interview. Herr Fend hat eine sehr nüchterne Sicht der Dinge, gerade auch im Bezug auf die Wirkungsmacht seiner Forschungsdisziplin. Das wird auch hier wieder deutlich.

  2. Die Positive Psychologie ist noch ein recht junger Zweig einer altehrwürdigen Wissenschaft, die in einer Phase entstand, als unsere Kultur, insbesondere unsere Erwerbskultur einen der markantesten Brüche seit Beginn aller Zivilisationen erlebte: die Industrialisierung und den damit verbundenen Beginn der Leistungsgesellschaft.

    Dieser gesellschaftliche Bruch bewirkte den Wegfall einer wichtigen menschlichen Kernkompetenz, die uns kaum noch im Bewusstsein ist: die „Identitätsschaffungs-Kompetenz“, ein für uns moderne Menschen des Leistungszeitalters scheinbar bedeutungsloser Begriff. Sie geriet nahezu völlig in Vergessenheit, seit der gesellschaftliche Wandel durch die Industrialisierung den Stellenwert des aus den einstigen beruflichen Ständen hervor gegangenen Identitätsbewusstseins in der menschlichen Werteskala weit hinten angestellt hat. Mit der innerhalb von zwei bis drei Generationen einsetzenden industriellen Revolution wurde dem auf Identität basierenden Leben und Schaffen für Millionen von Menschen ein jähes Ende gesetzt, was zur Folge hatte, dass Menschen seither in kollektivem Ausmaß den Faktor Identität nahezu komplett aus der Reichweite ihres Selbstverständnisses verbannt haben und es nun in anstrengender und versagensanfälliger Weise aus den Ergebnissen des Verhaltens und der Leistung determinieren.

    Keinesfalls zufällig war die Epoche der industriellen Revolution auch die Geburtsstunde der Psychologie, für welche aufgrund der massenhaft auftretenden Identitätskrisen seinerzeit ein enormer Bedarf entstanden war. Die klassische Psychotherapie agiert vorrangig im Kontext der Beseitigung psychischer Störungen, ist zumeist verhaltensfokussiert und daher kaum geeignet, „Identitätsschaffungs-Kompetenz“ zu reaktivieren. Darüber hinaus wird häufig verkannt, dass die so genannten psychischen Störungen nichts anderes sind, als Lösungsstrategien aus früheren Erfahrungsprozessen, die lediglich mit aktuellen Gegebenheiten in Konflikt geraten sind. Menschen lernen mithilfe psychotherapeutischer Maßnahmen in aller Regel, mit den daraus entstandenen Problemen umzugehen, doch das Erschaffen eines kraftvollen Identitätsbewusstseins erfolgt hierbei, wenn überhaupt, nur im langwierigen Prozess des emotionalen Verwertens der dadurch erzielten, mehr oder weniger großen Erfolge und ist damit lediglich eine mögliche Auswirkung anstelle eines Therapieziels.

    Das heute allgegenwärtige Phänomen des kollektiven Fokus auf das TUN (Verhalten, Leistung etc.) und die damit verbundenen, sukzessiv ansteigenden Zahlen von Mobbingverhalten, Burn Out, Depression etc. werden zu einem wachsenden Problemfaktor für Wirtschaft und Gesellschaft und machen daher ein modernes und kompetentes Identitätsmanagement unumgänglich.

    Die Erfahrungen mit einem seit dem Millenium von mir entwickelten und seit 2007 auch in der Praxis durchgeführten Identitätsmanagement-Trainings belegen eindrucksvoll, dass die Erschließung menschlichen, Erfolgs- und Erfüllungs- und damit auch Glückspotenzials mit diesem Ansatz ungleich einfacher und vor allem ungleich schneller möglich ist, als mit den gängigen, aufs Verhalten zielenden Trainings- oder Therapiemethoden. Menschen mit psychosozialen Problemen profitieren hiervon auf beeindruckende Weise ebenso, wie Führungskräfte, die ihr Niveau an Integrität, Führungskultur und Erfolgen insgesamt spürbar anheben wollen. Hier gibt es riesige Schnittmengen mit der etwa zur gleichen Zeit entstandenen Positiven Psychologie. Allerdings habe ich dafür keinen Überbegriff entwickelt. Ich könnte es „Identitätspsychologie“ nennen und es als einen Zweig der Positiven Psychologie betrachten.

    Antworten sind ausdrücklich erwünscht!

    Beste Grüße
    Chris Witt
    Diplom Psychologe,
    Certified Leadership Coach,
    Gründungsmitglied der Akademie für neurowissenschaftliches Bildungsmanagement.
    Information: http://www.lifecontext.de

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